Skelettfunde auf dem Universitätsgelände
in Kassel
Stand: 9. Juli 2009
22. Jan. 2008:
Bei Bauarbeiten wurden seit dem 16. Jan.
2008 die Gebeine von mindestens 30 Menschen gefunden. Die Fundstelle ist das
frühere Kfz-Gelände zwischen Kurt-Wolters-Straße,
An der Ahna und ehem.
Henschelhalle.
Alter und Identität der Toten sind
bislang unbekannt. Allerdings berichtete ein Augenzeuge, daß bereits
Mitte der 30er Jahre beim Neubau einer Halle der Henschelwerke Gebeine gefunden
worden seien (HNA vom 18. Jan. 2008). Tatsächlich liegen auch Skelette
unter einer Fundamentmauer, die jener Halle [oder einem älteren
Vorgängerbau aus der Mitte des 19. Jh.] zuzuordnen ist. Die Gebeine
müssen demnach älter sein als die Halle [bzw. jener Vorgängerbau]
– ein Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, der bislang noch von den
offiziellen Stellen vermutet wird, scheidet damit aus.
Auffallend ist das Fehlen jeglicher Uhren,
Ringe, Knöpfe oder Erkennungsmarken. Auch Särge waren offenbar nicht
vorhanden. Die Toten wurden anscheinend in dichten Reihen beigesetzt.
Statt dessen bieten sich zwei
Erklärungsmöglichkeiten:
1.) Das Gelände war früher eine
Freifläche des Garnisonslazaretts (um 1831 errichtet). Es könnte sich
verstorbene Militärangehörige handeln; auffallend wäre
allerdings, daß sie nicht auf dem Militärfriedhof (zunächst an
Lutherstraße / Gießbergstraße / Mauerstraße,
später am Hauptfriedhof) beigesetzt wurden. Es wäre demnach an eine
Seuche zu denken, bei der man sich der Toten möglichst schnell entledigen
wollte. – Die Nutzung als Lazarett ist noch 1877 bezeugt, [1886 erfolgte
der Umzug in Neubauten an der Heckerstraße;] zuletzt (bis 1918/19) diente
das Gebäude als gewöhnliches Kasernengebäude, Mitte der 1930er
Jahre wurde es für den Neubau des Fabrikhalle abgebrochen.
2.) Die Toten sind Opfer der großen
Typhus-Epidemie von 1814: Im Jahr 1814
brach in unserer Vaterstadt in einem ungewöhnlich hohen Grad in Folge der
Durchmärsche von bedeutenden Truppenmassen ein sehr heftiger
bösartiger Typhus aus, welcher viele Einwohner hinwegraffte. Da das
damalige Militär-Hospital, die Charité, nicht mehr zur
Unterbringung aller Militärkranken ausreichte, so wurde diese Kaserne [auf
dem Platz vor der heutigen Schule Am Wall an der Bremer Straße] sofort zu einem Militärlazareth
verwendet, und es findet sich kein Gebäude in Cassel, aus welchem so viele
Seelen in das Jenseits hinübergegangen sind, als aus diesem Hause; ja man
hatte bei der überhand genommenen großen Sterblichkeit, um die
Todten nicht die Treppen heruntertragen zu müssen, an der
nordöstlichen Seite, dem Hofe zu, eine sogenannte Rutschbahn angebracht,
auf welcher die Leichname in die daruntergefahrenen Kastenwagen, ohne die
geringste Bekleidung, gleich weiter zur Ruhestätte befördert wurden.
(Aus Wagner: Die bisherige Schützenkaserne oder das alte Modellhaus, in:
Casseler Tages Post 1866, Nr. 1336, zitiert nach Alois Holtmeyer: Die Bau- und Kunstdenkmäler im
Regierungsbezirk Cassel, Bd. VI, Kreis Cassel-Stadt, S. 545f.)
Die fragliche Freifläche, auf die
Skelette nun gefunden wurden, diente damals als [Reitbahn der benachbarten
Kaserne]; angesichts der Notsituation ist es gut denkbar, daß dieses
Gelände damals für Massengräber genutzt wurde.
Die zweite Annahme dürfte wohl die
wahrscheinlichere sein, doch sind gesicherte Aussagen erst möglich, wenn
der Todeszeitpunkt ungefähr bestimmt ist.
23. Jan. 2008:
Die Zahl der gefundenen Skelette steigt auf
40 an, an einigen Stellen liegen die Toten anscheinend auch übereinander.
Historische Lagepläne des Geländes
(zur Vergrößerung bitte mit der Maus anklicken):
Stadtplan 1822
(Holtmeyer, Denkmälerinventar 1923,
Tafel 16, Ausschnitt)
Grün: die Schützenkaserne, welche
während der Typhus-Epidemie 1814 als Militärlazarett diente.
Rot: die Gebäude auf dem früheren
Militärzimmerplatz.
Das lange, winkelförmige Gebäude
ist in einem Plan von 1810 als Stall bezeichnet, der Zimmerplatz diente als
Reitbahn (Staatliche Museen Kassel, Graphische Sammlung, GS 14524, der Stall
ist am linken Bildrand zu sehen:
http://212.202.106.6:8080/docuserver/digilib.jsp?fn=hires/G82777.jpg&mo=q2).
[Das obere, dreiflügelige Gebäude
wurde um 1810-13 als Heeresbäckerei errichtet (Staatliche Museen Kassel,
Graphische Sammlung, GS 14533:
http://212.202.106.6:8080/docuserver/digilib.jsp?fn=hires/G83911.jpg&mo=q2).]
Stadtplan um 1860
(Stadtvermessungsamt
Kassel)
Rot: das Garnisonlazarett und (etwas
heller) zwei Nebengebäude der Artilleriekaserne; das westliche
Stallgebäude ist beibehalten, das zweite Nebengebäude, welches den
Hof zur Ahna und zum Lazarett hin begrenzt, ist nach 1840 errichtet worden. Die
Hoffläche diente offenbar weiterhin als Reitbahn und gehörte nicht
zum Lazarett!
Orange: das Henschelsche Gießhaus.
Stadtplan 1896
(Holtmeyer,
Denkmälerinventar 1923, Tafel 18, Ausschnitt)
Rot: das Garnisonslazarett (ab ca. 1831),
um 1896 bereits als Kaserne genutzt.
Blau: das Artillerie-Wagenhaus, zwischen
1866 und 1877 errichtet, welches die frühen Nebengebäude ersetzte.
Orange: das Gießhaus der
Henschelwerke.
Stadtplan 1943
(Stadtvermessungsamt
Kassel)
Blau: das frühere
Artillerie-Wagenhaus.
Orange: das Gießhaus und eine
Fabrikhalle der Henschelwerke.
Rot: die neue Panzerhalle der
Henschelwerke.
Stadtplan 2004
(Stadtvermessungsamt
Kassel)
Orange: das Gießhaus und eine
frühere Fabrikhalle der Henschelwerke.
Türkisfarbener Kreis: das
Grundstück, auf dem die Skelette gefunden wurden.
Überlagerung des
Stadtplans 2004 mit dem Stand 1943 (Schraffur), dem Garnisonlazarett von 1831 (rote
Fläche über der Schraffur) und den Nebengebäuden der
Artilleriekaserne um 1860 (blassere rote Flächen unter der Schraffur; der
Bau in der SW-Ecke wurde um 1800 errichtet, der hakenförmige Bau in der
Mitte des 19. Jh.).
Die genaue Ausdehnung
des Fundbereichs ist z. Zt. unklar, die Gebeine liegen auch unter der
Fundamentmauer der Henschelschen Panzerhalle.
Die Toten müssen vor dem Bau des
Artilleriewagenhauses und der Fabrikhalle an dieser Stelle beigesetzt worden
sein, da sie unter den Fundamenten beider Gebäude liegen. Sollte der
Mauerrest, der einige Skelette überdeckt, nicht erst von der Halle,
sondern schon von dem Kasernen-Nebengebäude aus der Mitte des 19.
Jahrhunderts stammen, würde dies eine weitere Eingrenzung bedeuten. Weder
aus dem Krieg von 1866 noch aus dem Krieg 1870/71 sind gegenwärtig Seuchen
bekannt, die ein derart schnelles Beisetzen der Opfer erforderlich gemacht
hätten. Überhaupt gehörte der Hof damals auch nicht zum
Lazarett, dessen Grundstück eher in Richtung Holländischer Platz
reichte, sondern zu den Stallungen der Artilleriekaserne. Außerdem
wäre für jene Zeit das Fehlen jeglicher Kleidungsreste auffallend,
das allerdings mit der Beschreibung der großen Typhus-Epidemie 1814
übereinstimmt.
24. Jan. 2008:
Die Zahl die gefundenen Toten ist bis zum
Abend des Vortags auf 50 gestiegen.
Inzwischen laut gewordene Vermutungen,
daß es sich um gefallene Soldaten aus dem Siebenjährigen Krieg
handeln könne, sind weitgehend zu entkräften: Die Stadt wurde
jedesmal kampflos übergeben, die wichtigen Schlachten fanden in
größerer Entfernung statt (Sandershäuser Berg und
Wilhelmsthal). Auch der Umstand, daß an den Gebeinen bislang weder
Verletzungen noch Metallteile festgestellt werden konnten, spricht dagegen.
Klarheit dürfte weiterhin erst durch
zwei Aspekte zu erlangen sein: zum einen die rechtsmedizinische
Untersuchung der Gebeine, zum anderen die Verteilung der Bestattungen über
das Gelände:
Wenn die Beisetzungen in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten (was für die Epidemie 1814
zutrifft), müßten sie auf der Fläche zwischen dem damaligen
langgestreckten Gebäude und der Ahna beschränkt sein, dürften
also nicht in der SW-Ecke des heutigen Grundstücks liegen (vgl. die
Überlagerungskarte); in der Jahrhundertmitte entfällt durch
Überbauung auch ein Streifen an der Ahna.
Wenn die Beisetzungen dagegen nach dem
Neubau des Artilleriewagenhauses erfolgten (zwischen 1866-77, genaues Baudatum
z. Zt. unbekannt), bleibt nur die restliche Hoffläche einschließlich
der SW-Ecke des heutigen Grundstücks.
(Bei den Lageplänen ist heute der Plan
von ca. 1860 hinzugekommen, die Beschreibung zum Stadtplan von 1822 ist
ergänzt worden und der Plan von 1896, der Überlagerungsplan sowie der
abschließende Kommentar überarbeitet.)
Ansicht des Hofes nach
Errichtung des neuen Artilleriewagenhauses
(Hans D. Baumann:
Kassel in alten Ansichten, Zaltbommel 1985, Abb. 35)
25. Jan. 2008:
Die Zahl der entdeckten Skelette stieg bis
zum Abend des 24.1. auf etwa 60.
Pressemitteilung des Marburger
Archäologen Dr. Rainer Atzbach, zugleich stellvertretender Vorsitzender
des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde:
Nach
Ansicht des Marburger Mittelalter- und Neuzeitarchäologen Dr. Rainer
Atzbach handelt es sich bei dem rätselhaften Massengrab auf der Baustelle
der Universität Kassel um einen neuzeitlichen Notfriedhof. Erstens passe
die völlige Abwesenheit von Zahnfüllungen, die ja seit dem
frühen 20. Jahrhundert üblich waren, nicht zur bisherigen Datierung der
Bestattungen auf 50 bis 100 Jahre. Zweitens sei von Exhumierungen und
geordneten Ausgrabungen der Opfer nationalsozialistischer Gewalt bekannt, dass
sich bei diesen stets Kleidungsbestandteile finden, insbesondere Schuhe,
deren Leder und Sohlennagelung auch unter schlechten Bodenbedingungen
Jahrhunderte überdauern können. Leichentücher wiederum wurden
seit dem Mittelalter mit bronzenen Stecknadeln zusammengesteckt, auch diese
fehlen. Die komplett beigabenlose Bestattung der folglich nackt Beigesetzten
und auch das Nebeneinander geordneter Einzelbestattungen und ungeordneter
Skeletthaufen sprechen vielmehr dafür, dass hier Seuchenopfer beigesetzt
wurden. Seit dem späten 18. Jahrhundert wurden die Kleider der
Seuchenopfer verbrannt, um die Ausbreitung der Infektion einzudämmen; die
Verbrennung der christlichen Toten selbst war jedoch aus religiösen
Gründen nicht gestattet. Die offensichtlich rasch zunehmende Sterblichkeit
führte zur Aufgabe geordneter Einzelbeisetzungen. Auffallend sei ferner,
dass es sich ausschließlich um junge Männer handelt, eine
Population, die für Kasernen typisch ist. Nach Recherchen des Kasseler
Historikers [...] Christian Presche (http://www.presche-chr.de/christian/Skelettfund.htm)
liegt das rätselhafte Massengrab in unmittelbarer Nähe des
historischen Militärlazaretts und ist wohl tatsächlich als
Notfriedhof der verheerenden Typhus-Epidemie von 1814 zu identifizieren, die
von den rückflutenden Truppen der geschlagenen "Grande
Armée" Napoleons eingeschleppt worden war. Die Casseler Tages Post
veröffentlichte 1866 rückblickend einen Artikel über die
Behandlung der in diesem Lazarett Verstorbenen "...Um die Todten nicht die
Treppen heruntertragen zu müssen, [wurde] eine Rutschbahn angebracht, auf
welcher die Leichname in die daruntergefahrenen Kastenwagen, ohne die geringste
Bekleidung, gleich weiter zur Ruhestätte befördert wurden."
(Herrn Dr. Atzbach sei an dieser Stelle
herzlich für die Übermittlung der Pressemitteilung gedankt!)
Im Laufe des Tages wurde bekannt, daß
inzwischen drei Frauenleichen unter den Toten festgestellt wurden; dies
widerspricht der Deutung allerdings nicht, da es in der napoleonischen Armee
durchaus auch Frauen gab. Auch ist möglich, daß es sich um
Zivilpersonen handelte, die mit dem Militär bzw. dem Lazarett in
Verbindung standen – etwa [Frauen aus dem begleitenden Troß oder]
Krankenschwestern.
26. Jan. 2008:
Laut HNA haben Polizei und
Staatsanwaltschaft die Ermittlungen am Vortag eingestellt: Die Untersuchungen
des Gießener Rechtsmediziners Dr. Marcel Verhoff hätten ergeben,
daß die Skelette „aus einer
Zeit deutlich vor dem Zweiten Weltkrieg stammen“; dies legten auch
fehlende zahnärztliche Behandlungen nahe. Es gebe auch keine Hinweise auf
Hinrichtungen und andere gewaltsame Todesursachen. Infektionskrankheiten
seien heute allerdings nicht mehr nachweisbar.
Zu bedauern ist, daß damit auch keine
genauere Untersuchung der Liegezeit vorgenommen wird – es sei denn,
daß das Land Hessen als Grundstückseigentümer oder die Stadt
Kassel weitere Untersuchungen in Auftrag gibt. Denn bislang handelt sich es nur
um Vermutungen, für die aber eindeutige Beweise noch fehlen.
Neben der Liegezeit der Gebeine wäre nun
auch zu klären, ob z.B. im Staatsarchiv Marburg noch die Quellen vorhanden
sind, welche jenem Zeitungsartikel von 1866 zugrunde lagen, und ob sie auch
weitere Auskünfte zum Begräbnisplatz der Typhus-Opfer enthalten.
Weitere Augenzeugenberichte bestätigen
inzwischen, daß die Toten bereits in der ersten Hälfte des 20. Jh.
auf dem Gelände lagen:
So zitiert die HNA vom 26. Jan. eine Dame
aus Grebenstein; ihr Großvater Ernst Döll (1861-1940) wohnte in der
heutigen Gottschalkstraße und mahnte sie bisweilen: Wenn du nicht isst, dann kommen die kleinen Geister, die auf dem
Henschel-Gelände vergraben sind. Die essen dir den Pudding weg. (Das
Gelände gehörte damals bereits der Firma Henschel.)
Gemäß einem weiteren
Augenzeugenbericht sollen bereits direkt nach Ende des Ersten Weltkriegs Kinder
auf dem verlassenen Kasernengelände Höhlen gegraben haben und dabei
auf Gebeine gestoßen sein.
Diskutiert wird nun die Frage einer
Beisetzung der Gebeine; Gespräche mit der Friedhofsverwaltung würden
bereits geführt.
Am angemessensten dürfte eine Beisetzung
auf dem Militärfriedhof an der Holländischen Straße sein;
selbst wenn die Toten nicht aus dem Militärlazarett von 1814 stammen
sollten, so legt der Standort des Massengrabs doch einen militärischen
Zusammenhang nahe.
Nach Aussage Dr. Verhoffs spräche zwar
das Fehlen von Kinderleichen gegen eine Epidemie; jedoch wäre es im 19.
Jh. mehr als verwunderlich, wenn in einem Militärlazarett (!) auch Kinder
behandelt worden wären.
Die Herkunft der Toten ist gleichwohl
unklar; da das Gebäude in der Quelle als Militärlazarett bezeichnet
wird, dürfte es sich überwiegend um fremde, durchziehende Soldaten
der geschlagenen napoleonischen Armee gehandelt haben – nicht
zwangsläufig Franzosen, aber Landeskinder all jener Staaten, die damals
unter napoleonischem Einfluß standen.
27. Jan. 2008:
Hier bietet es sich an, einige
Hintergrundinformationen zu geben:
1.) Die Kasseler
Militärfriedhöfe:
-
Die Verstorbenen
des hessischen Militärs in Kassel wurden bis 1770 auf einer Nebenabteilung
des Unterneustädter Friedhofs nördlich des Pulvermühlenwegs
beigesetzt (1755 erweitert), außerdem neben dem großen
städtischen Friedhof (heute Lutherplatz) auf dem Glacis der
Stadtbefestigung, zwischen Hohem Tor und Müllertor: Dieser freie
Geländestreifen vor dem Befestigungsgraben begann im Süden an der heutigen
Lutherstraße, die westliche Begrenzung bildete die heutige
Gießbergstraße, vor der Wolfhager Straße bog er nach Osten
bis zur Müllergasse / Holländischen Straße. Ob dieser ganze
Streifen für Beisetzungen diente, ist unklar; vermutlich war es nur das
Gebiet bis zur heutigen Jäger- und Schillerstraße.
-
Nach Schleifung
der Befestigungsanlagen wurde 1770 diese Fläche vor dem Hohen Tor zum
Garnisonsfriedhof bestimmt: etwa das Dreieck zwischen heutiger
Lutherstraße, Gießbergstraße und Mauerstraße, bis zur
heutigen Schillerstraße reichend. Die neue Zollmauer der Stadt trennte
den Garnisonsfriedhof vom großen Kasernenplatz (heute etwa zwischen
Königsstraße, Stern, Jägerstraße und Mauerstraße),
der 1806 und 1821/22 mit weiteren Kasernenbauten umgeben wurde. Ein
Gerücht, wonach die Militärangehörigen bis 1860 auf
Kasernengelände beigesetzt worden seien, dürfte seinen Ursprung in
dieser Nachbarschaft von Kaserne und Garnisonsfriedhof haben.
-
1860 wurde ein
neuer Militärfriedhof an der Holländischen Straße eröffnet,
nachdem bereits 1843 der neue Hauptfriedhof in Betrieb genommen worden war.
1891 überführte man die Gebeine vom alten Militärfriedhof
auf das neue Gelände und gab den alten Friedhof zur Bebauung frei.
(Alois
Holtmeyer: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Bd. VI,
Kreis Cassel-Stadt, S. 818 und 840, sowie Wolfgang Hermsdorff: Alles begann auf
dem Militärfriedhof (Ein Blick zurück 1360), HNA vom 22. Juni 1991.)
Der Garnisonsfriedhof (grün markiert) vor dem Hohen Tor, links angrenzend
der städtische Friedhof (heute Lutherplatz), zwischen Garnisonsfriedhof
und Königsstraße die Hohentorkaserne. Das Militärlazarett von 1814 an der Bremer Straße (rot
markiert). Der Unterneustädter Friedhof (grün markiert). |
|
Stadtplan von 1822
(Holtmeyer, Tafel 16, Ausschnitt)
2.) Die Militärlazarette:
-
Im
Siebenjährigen Krieg wurden von den französischen Besatzern 1761 drei
Kasseler Kirchen als Lazarette zweckentfremdet: Brüderkirche,
Martinskirche und Lutherische Kirche am Graben.
-
Um 1798 diente
das Wohnhaus Schäfergasse 9 als Garnisonslazarett.
-
1808 wurde die
1785 eröffnete Charité an der Leipziger Straße (heute etwa
Leipziger Straße 117-131) mit einem Militärlazarett verbunden. Sie
war damals das größte Krankenhaus des Königreichs Westphalen;
1895 bezog die Institution, die etwa 230 Betten umfaßt hatte und das
Vorbild für die Landkrankenhäuser in Marburg, Fulda, Hanau,
Rinteln und Schmalkalden gewesen war, moderne Neubauten auf dem Möncheberg
(Landeskrankenhaus, später Städtische Kliniken, heute Klinikum
Kassel).
|
|
Die Charité in der Leipziger
Straße (Holtmeyer, Tafel 347,2) |
-
Da die
Charité während der Typhus-Epidemie von 1814 überlastet war,
richtete man kurzerhand in der Kaserne an der Bremer Straße ein weiteres
Militärlazarett ein. – Dieses Gebäude war um 1712 in der
Nähe des Landgrafenschlosses als Ausstellungsgebäude für die
fürstlichen Baumodelle errichtet und 1789 an den Kornmarkt / Bremer
Straße versetzt worden. Besondere Sehenswürdigkeit war ein
ca. 63m langes Modell von Herkules und Kaskaden, bis zum heutigen
Wilhelmshöher Schloßberg. Nach 1806 wurden in der Zeit der
französischen Fremdherrschaft die Modelle als Brennholz verkauft und das
Gebäude zur Kaserne umgebaut. Nach der Typhus-Epidemie stand es
zunächst leer; ab 1817 zog die Renterei des Amtes Ahna ein (Verwaltung des
nördlichen Kasseler Bezirkes), 1822 wurde hier das Militär-Bekleidungsmagazin
eingerichtet. Ab den 1840er Jahren bis zum Abbruch 1865/66 diente der verputzte
Fachwerkbau als Schützenkaserne.
Vgl.
die Abbildungen im Bildarchiv Foto Marburg (www.bildindex.de):
http://www.bildindex.de/bilder/MI06073d09a.jpg, http://www.bildindex.de/bilder/MI06073d10a.jpg,
http://www.bildindex.de/bilder/MI06073d11a.jpg, http://www.bildindex.de/bilder/MI06073d12a.jpg.
-
Mit dem Bau der
neuen Artilleriekaserne am Zeughaus (1829-31) und der Anlage der Artilleriestraße
(1829) entstand das eigene neue Garnisonslazarett vor der Zollmauer der Stadt
(s. oben die Lagepläne).
-
1883-86
errichtete man ein neues Garnisonslazarett bei der Kavalleriekaserne (Husarenkaserne;
Frankfurter Straße, heute etwa Versorgungsamt). Von den Lazarettbauten an
der Heckerstraße ist heute nur noch Heckerstraße 24 erhalten.
(Holtmeyer
a.a.O, S. 147, 169, 212, 502, 542-46, 566f., 731, sowie Thomas Wiegand:
Kulturdenkmäler in Hessen, Stadt Kassel II (Denkmaltopographie
Bundesrepublik Deutschland), Wiesbaden 2005, S. 449).
28. Jan. 2008:
Die Staatsanwaltschaft Kassel hat nun
offiziell die Einstellung der Ermittlungen bekanntgegeben. Die Gebeine sollen inzwischen
auf den Hauptfriedhof gebracht worden sein, um dort in nächster Zeit feierlich beigesetzt zu werden.
Sofern nicht weitere schriftliche Quellen
ausfindig gemacht werden können, werden die Liegedauer und damit auch die
Todesumstände nun vermutlich ungewiß bleibt.
Geht man von der Typhus-Epidemie von 1814
aus, so sei noch kurz auf die Wahl des Bestattungsplatzes eingegangen:
Beisetzungen innerhalb der Städte
waren seit der Reformation verboten; einzige Ausnahmen waren Bestattungen in
Kirchen, und selbst dieser Brauch wurde am Ende des 18. Jh. aus
Hygienegründen eingestellt. Die Friedhöfe mußten zum Schutz vor
Seuchen außerhalb der Städte liegen, was auch für den alten
städtischen Friedhof und den Garnisonsfriedhof vor dem Hohen Tor galt. Das
nächstgelegene freie Gelände zum Lazarett an der Bremer Straße,
nämlich die Hofflächen um Zeughaus und Klosterkaserne
(Artilleriekaserne), kam damit nicht infrage. Vor der Zollmauer lagen hier
ansonsten nur private Gärten. Den weiten Transport zum Garnisonsfriedhof
hielt man entweder wegen der großen Infektionsgefahr für zu
gefährlich, oder man sah sich in der Eile auch außerstande, dort
geeignete Flächen zu finden. Die Reitbahn der Artilleriekaserne lag jedoch
in direkter Nähe: Die Kastenwagen mit den Toten brauchten nur durch die
Bremer Straße nach Osten zu fahren (durch weitgehend unbewohntes
Gebiet!); durch das Stallgebäude muß es dann eine
Zufahrtsmöglichkeit auf die Reitbahn gegeben haben.
Vgl. den Lageplan um 1810 mit Eintragung
der Bremer Straße (Rue de Bremen),
des Stallgebäudes (P Ecurie Nro
8 du Closter) und der Reitbahn (Manège):
http://212.202.106.6:8080/docuserver/digilib.jsp?fn=hires/G82777.jpg&mo=q2.
Die angrenzende kleinere Fläche am
Knick der Bremer Straße, die durch ein Tor von der Straße aus
zugänglich war, war anscheinend eine private Reitbahn (Manège particuliere), die zu den Gärten auf der
angrenzenden früheren Bastion (Particuliers)
gehörte und nicht mit der Artilleriereitbahn in Verbindung stand; eine
genauere Klärung der Besitzverhältnisse steht allerdings aus.
[Ein Zusammenhang mit den Epidemien der
1830/40er Jahre ist aus folgenden Überlegungen heraus etwas
unwahrscheinlicher als die Zuordnung zu den Ereignissen von 1813/14:
Die Beisetzungen erfolgten nicht aus
Richtung des neuen Garnisonslazaretts, sondern von der Mitte des Reitplatzes
ausgehend nach Norden – zunächst noch geordnet und nebeneinander,
nach Norden hin zunehmend ungeordneter und anscheinend auch teilweise
übereinander; die Toten wurden demnach durch das Tor des westlichen
Stallgebäudes auf den Hof gebracht: vom direkt angrenzenden jüngeren
Garnisonslazarett aus gesehen ein unnötiger Umweg über eine Straße,
vom Lazarett am Kornmarkt (1814) aus dagegen der direkte Weg. Auffallend ist
auch, daß man die nördliche Hälfte des Platzes nutzte; sie
hätte dicht an das jüngere Lazarett herangereicht, lag vor ca.
1830 jedoch weiter von der Stadt entfernt. Und schließlich überbaute
ein Nebengebäude in den 1840er/50er Jahren den nördlichen Rand
der Bestattungen; demnach brauchte auf jüngere Beisetzungen keine
Rücksicht mehr genommen zu werden, oder ihre genaue Lage war sogar schon
in Vergessenheit geraten.
Gleichwohl wäre diese Frage über
die Akten der 1830/40er Jahre noch genauer abzuklären.]
29. Jan. 2008:
Die Beisetzungsmodalitäten sind
inzwischen geklärt: Die Gebeine sollen in den folgenden Woche auf dem
Gräberfeld 19 des Hauptfriedhofs beigesetzt werden, gegenüber dem
Gräberfeld der ausländischen Kriegstoten. Die Beisetzung soll durch
Dekanin Barbara Heinrich und Dechant Harald Fischer erfolgen. Aus
Kostengründen werden die 60 Skelette allerdings nur in 45 Umzugskartons
bestattet; da ohnehin niemand für die Finanzierung aufkommen wolle, werde
die Friedhofsverwaltung die Beisetzung im übrigen kostenlos vornehmen.
Die Universität Kassel hat inzwischen
erklärt, keine weiteren Untersuchungen zu den Hintergründen des
Massengrabs zu veranlassen: dies sei keine originär universitäre
Aufgabe und habe mit dem Bauverfahren nichts zu tun.
(HNA vom 29.1.2008).
In der HNA vom 29. Jan. äußerte
der Gründer des Instituts für angewandte Biographie- und
Familienforschung, Christian von Klobuczynski, erhebliche Zweifel an der
Typhus-Theorie, die im Folgenden zu diskutieren sind:
1.)
Die Ahna sei unmittelbar an dem Gelände
vorbeigeflossen; Typhus werde aber vor allem durch verunreinigtes Wasser
übertragen, und den Menschen damals sei dieser Übertragungsweg auch
schon bewußt gewesen.
Die Annahme, daß verunreinigtes
Wasser Anfang des 19. Jh. als Übertragungsweg für Krankheiten bekannt
gewesen sei, läßt sich nicht aufrecht erhalten: So wurde (nach
ersten Vermutungen ab 1832) erst 1854 verseuchtes Trinkwasser als Ursache von
Cholera erkannt. Man führte Infektionskrankheiten vielmehr auf
krankmachende Dünste (Miasmen) und direkte Berührung von Kranken
zurück. In Kassel glaubte selbst Kurfürst Wilhelm II. bei der
Choleraepidemie von 1830, sich durch Pfeifenrauch vor der Krankheit schützen
zu können. Und noch 1874 diskutierte M. Pettenkofer in der Zeitschrift
für Biologie die Frage: Ist das
Trinkwasser Quelle von Typhusepidemien? – Gleichwohl wären
medizinhistorische Stellungnahmen zu diesem Problem interessant.
Das Begraben von Toten an einem Wasserlauf,
aus dem möglicherweise Wasser entnommen wird, ist aus heutiger Sicht
grundsätzlich problematisch. Demnach hätte das fragliche Gelände
aber zu keiner Zeit als Begräbnisplatz genutzt werden dürfen: Der
kanalisierte Verlauf der Ahna reicht spätestens in das Jahr 1577
zurück [(vgl. a. Stadtplan Dilichs von 1605)] und ist bis heute weitgehend
noch vorhanden. – Das Problem der vorbeifließenden Ahna hätte
sich also bereits im 17. und 18. Jahrhundert gestellt. Vor 1577 floß sie
zwar nicht auf der Nordostseite, aber dafür auf der Südseite des
Areals zur Stadt, um über den Standort des Zeughauses, den
Töpfenmarkt und die Packhofstraße in die Fulda zu münden. (Eine
längere Liegezeit der Toten als 400 Jahre wird allerdings von den Rechtsmedizinern
weitgehend ausgeschlossen.)
Betrachtet man dagegen die Lage des
städtischen Friedhofs und des Garnisonsfriedhof, so war diese erst recht
problematisch: Beide Friedhöfe lagen am Hang oberhalb der Stadt –
das Grundwasser sickerte von hier aus (auf Grund des Bodenaufbaus) direkt in
das Stadtgebiet und trug dazu bei, daß ein Großteil der Kasseler
Brunnen am Ende des 19. Jh. kein sauberes Trinkwasser mehr führte.
2.)
Die Beisetzung in der Nähe der Heeresbäckerei
wäre geradezu fahrlässig gewesen.
Die Heeresbäckerei lag am Hang
oberhalb des fraglichen Geländes. Angesichts der damaligen Theorien zur
Übertragung von Infektionskrankheiten sah man vermutlich [zunächst]
keine Gefahr. [Im Stadtplan von 1822 ist das Gebäude allerdings bereits
als „t Laboratorium“
bezeichnet (freundl. Hinweis von Herrn Klaube, StadtA KS, da in der
Reproduktion bei Holtmeyer nicht eindeutig erkennbar)]
3.)
Es ergebe keinen Sinn, auf einem befestigten Platz mit
großem Aufwand eine Grube auszuheben, wenn es rundherum zahlreiche
unbebaute Grünflächen fernab von Gebäuden gegeben habe.
Die unbebauten Grünflächen
ringsum waren private Gärten, die von den Kasseler Einwohnern zur
Selbstversorgung und zur Erholung genutzt wurden; außerdem gab es um 1800
in den Vorstädten vor den Toren der Zollmauer auch bereits Wohnhäuser.
Eine Beisetzung in diesem Gartengelände wäre praktisch einer
Enteignung gleichgekommen.
4.)
Wenn die Toten Soldaten gewesen wären, hätte man
sie auch auf dem Militärfriedhof beisetzen können, und auch der
städtische Friedhof sei nicht weit entfernt gewesen.
Die Transportwege wären deutlich
länger gewesen und hätten über stark frequentierte Straßen
geführt (entweder durch das Holländische Tor oder über die
Königsstraße und durch das Hohe Tor). Das fragliche Gelände lag
jedoch abseits von Wohnbebauung und belebten Straßen.
5.)
Solange Anthropologen die Liegedauer nicht weiter
eingegrenzt haben, könne nichts ausgeschlossen werden.
Diese Aussage ist zutreffend! So besteht
weiterhin die Möglichkeit, daß es Epidemien gegeben hat, die zur
Zeit noch nicht bekannt sind. Sollte diese Diskussion tatsächlich zu
weiteren, erfolgreichen Untersuchungen führen, so wäre sie
durchaus hilfreich. Allerdings muß die Frage gestellt werden, ob eine
Eingrenzung der Liegezeit auf Jahrzehnte genau überhaupt
gewährleistet werden könnte.
Einen weiteren Hinweis bietet die Lage der
Skelette auf dem Gelände: Eine genaue Kartierung liegt zwar leider nicht
vor, aber die Photographien der HNA lassen erkennen, daß in der SW-Ecke
des Geländes keine Gebeine lagen – dieser Bereich war schon 1803 mit
den Ställen bebaut, die erst zwischen ca. 1860 und 1877 abgebrochen
wurden. Dies deutet darauf hin, daß die Beisetzung zu einer Zeit
stattfand, als die Ställe bereits vorhanden waren. Eine weitere zeitliche
Eingrenzung bietet die Fundamentmauer, welche im Norden des Areals mehrere
Gebeine überdeckte. Diese Mauer dürfte [der Henschelschen Fabrikhalle
zuzuordnen sein, welche wohl Mitte der 1930er Jahre errichtet wurde. Hinzu
kommen die Augenzeugenberichte, wonach bereits in den 20er und 30er
Jahren Gebeine auf dem Gelände gefunden wurden.
30. Jan. 2008:
Universitätspräsident Postlep
sieht gemäß einem Bericht der HNA kein Interesse der Uni, weitere
Untersuchungen selbst voranzutreiben. Es handele sich aber um ein wichtiges
archäologisches, stadt- und landeskundliches Phänomen, dessen
Erforschung die Uni immer unterstützen werde. Wenn Fachleute der Uni
interessiert seien, könnten sie individuell entscheiden, ob sie forschen
wollten.
Dies dürfte sicherlich die
Ideallösung sein, daß ortsansässige Fachgebiete (wie z. B. die
Neuere Geschichte) sich des Problems annähmen – beispielsweise als
Examensarbeit oder auch im Rahmen eines Seminars – um mögliche noch
vorhandene Schriftquellen heranzuziehen und auszuwerten.
Allerdings ist aus wissenschaftlicher Sicht
auch eine gewisse Verhältnismäßigkeit zu wahren, im Vergleich
mit anderen, historisch deutlich wichtigeren Grabungsbefunden (etwa die
Altmarktgrabung Anfang 2007, der leider weit weniger Aufmerksamkeit gewidmet
wurde).
Ergänzend zu 1814 sei noch
nachgetragen:
Als
im Winter 1812/13 Überlebende der in Russland zerschlagenen Grande Armee
Napoleons sich ,ausgehungert,
verschmutzt, in Lumpen gehüllt und krank’ nach Westen schleppten, reichten die [damals] 400 Pflegeplätze
der Charité bei weitem nicht aus. Jérôme ließ ein
Ausweich-Lazarett im ehemaligen Modellhause am Wall einrichten, das seit 1808
provisorisch zu einer Infanterie-Kaserne umgebaut worden war. Darin sollen bis
1814 – vor allem während einer bösartigen Typhus-Epdemie
– katastrophale Verhältnisse geherrscht haben. Die kranken
Zivilisten waren aus der Charité in einige eilends hergerichtete
Räume des ehemaligen Klosters Ahnaberg [Klosterkaserne, zwischen
Zeughaus und Weserstraße an der Zeughausstraße] verlegt worden; dort betreute sie bis Ende 1814 Dr. Carl Gustav
Altmüller. Denn in der Zwischenzeit mußte die im Dezember 1813
wieder eingesetzte Kurfürstliche Charité-Direktion Krankensäle
säubern, von Läusen, Flöhen und Wanzen befreien, renovieren und
teilweise neu ausstatten lassen.
(200 Jahre
Charité – Städtische Kliniken Kassel, hg. von der
Betriebsleitung der Städtischen Kliniken Kassel, Kassel 1985, S. 27. Als
Literaturhinweis für die Typhus-Epidemie wird wiederum der Zeitungsartikel
von 1866 zitiert; freundlicher
Hinweis auf diese Textstelle von Herrn v. Klobuczynski.)
Es erfolgte
also eine Aufteilung von Militärangehörigen und Zivilisten. Wenn das
Massengrab tatsächlich von 1814 stammt, so ist es den
Militärangehörigen zuzuordnen (überwiegend Männer, keine
Kinder, sehr wenige Frauen).
Einen ähnlichen Fall gab es bereits im
Herbst 1806 beim Einmarsch der napoleonischen Truppen, der hier als Vergleich
angeführt werden soll: Damals war allerdings die Charité noch in
der Lage, die Kranken aufzunehmen. Aber weil
der Gottesacker des Siechenhofs [etwa am Platz der deutschen Einheit] inzwischen belegt war, hatte im man im
Oktober 1806 ,wegen der
zunehmenden Mortalität’
kurzerhand einen eigenen Begräbnisplatz auf dem Kleinen Forst, zwischen
dem Garten der Ölmühle und der Hannoverschen Chaussee, eingerichtet [in derselben Gegend, etwa zwischen
Wahlebach und Sandershäuser Straße]. Dagegen wandte sich Fehrenberg [der Ölmüller] mit der Begründung, das Gelände
werde jährlich zweimal vom Hochwasser des Wahlebachs überschwemmt und
da ,die Cadaver bekanntlich ohne
Särge begraben’ würden,
verpeste der Vewesungsgeruch freigespülter Leichen die ganze Gegend.
(Ebd., S.
26f.)
Ähnliches war an der Ahna wegen der
Tiefe des eingeschnittenen Kanals allerdings nicht zu befürchten, und an
der früheren Uferböschung finden sich keine Beisetzungen.
31. Jan. 2008:
Die HNA berichtet über eine
Besprechung, die am Vortag im Stadtarchiv Kassel stattgefunden hat: Die
Zeitungsredaktion hatte ein Treffen zwischen Chr. von Klobuczynski, Stadtarchivar
R. Klaube, dem Verf. und dem Pressesprecher der Stadt Kassel, H.-J.
Schweinsberg, vermittelt. HNA-Vertreter war C. Michaelis.
Als Ergebnis sei kurz zusammengefasst: Dass
die Gebeine aus dem 20. Jh. stammen, wird von allen Beteiligten ausgeschlossen.
Ansonsten gibt es allerdings für keine Theorie sichere Beweise, so dass
erst weitergehende Forschungen Gewissheit bringen könnten (aber ebenso
auch ergebnislos bleiben können). Stadtarchivar Klaube und der Verf.
halten nach wie vor die Typhus-Epidemie von 1814 für den
wahrscheinlichsten Ansatz. – [Für weitere Forschungen] schlug der
Verf. den Fachbereich Neuere Geschichte an der Universität als geeignet
vor (auch um die Verbindung zwischen Stadt/Region und Universität weiter
zu stärken).
Die Ereignisse, die v. Klobuczynski als
möglichen Hintergrund anführte, sollen im Folgenden kurz diskutiert
werden:
1.)
Erfolglose Belagerung Kassels 1626 durch Tilly; die
Fundstelle liegt vor der Stadtbefestigung, hier könnten Soldaten der
kaiserlichen Truppen beigesetzt sein.
Diese Variante ist zeitlich gerade noch
denkbar, wenn man vom Ansatz der Rechtsmediziner ausgeht (jünger als 400
Jahre). Da keine Verletzungen festgestellt wurden, könnte es sich nur um
natürliche Todesfälle gehandelt haben, nicht um Gefallene.
Tatsächlich war Tilly zuerst an Kassel
vorbeigezogen, hatte Münden erobert und dort sein Lager bezogen, dieses
dann aber in das Niestetal verlegt (zwischen Heiligenrode und Sandershausen)
und die Zufuhr für Kassel in weiterem Umkreis abgeschnitten. Kampfhandlungen
an den Wällen sind nicht bezeugt, nur mehrfache Ausfälle der in
Kassel liegenden Soldaten mit Scharmützeln in der Umgebung; zu einer
regelrechten Belagerung kam es auch nicht, da Tilly die Festung für
uneinnehmbar hielt und zudem bald gegen den dänischen König zu Feld
ziehen mußte.
Hinzu kommt, daß die Beisetzung von
Toten, für die zuerst Erde ausgehoben werden mußte, in
Schußweite direkt vor den feindlichen Wällen zu riskant gewesen
wäre. Das Fehlen jeglicher Kleidungsreste etc. wäre
außerdem zumindest auffallend.
Denkbar wäre allenfalls die Beisetzung
einheimischer Seuchenopfer während des Krieges: Die Stadt war mit
Flüchtlingen aus hessischen Dörfern und mit Soldaten
überfüllt, die Ernährung wurde knapp und es brachen bis 1638 immer
wieder Seuchen aus (damals als „Pest“ bezeichnet) – mit sehr
hoher Sterblichkeit: In der
Altstädter Gemeinde z. B. starben 1637 365 Personen, darunter 105 Fremde.
Und das fragliche Gelände war damals eine ungenutzte Freifläche. Aber
dagegen, daß es sich um einen Notfriedhof aus jenen Seuchen handelt,
sprechen drei Aspekte: Die täglichen Sterbefälle waren immer noch
überschaubar, so daß kein Massengrab erforderlich war, die 60 Toten
des aufgefundenen Massengrabs waren überwiegend Männer, und das
Fehlen von Kleidungsresten wäre auffallend.
(Hugo Brunner: Geschichte der Residenzstadt
Cassel 913-1913, Cassel 1913, S. 166-185.)
In diesem Zusammenhang wäre zu
klären, wie lange Textilreste in dem vorhandenen Boden überdauern
können.
2.)
1761/62 Besetzung Kassels durch französische Truppen,
Belagerung und Einnahme durch hessische und hannoveranische Truppen etc.; es
könnte sich um diese Soldaten handeln. Außerdem sollen während
der Besetzung Beisetzungen an und auf den Wällen stattgefunden haben.
Die großen Truppenlager im Siebenjährigen
Krieg befanden sich weit vor der Stadt. Zuletzt lag das fragliche Gebiet mitten
in der Kampfzone, und das gesamte Gelände zwischen Stadt, Rothenditmold
und Möncheberg wurde verwüstet. Daß in jener Zeit eine Notbeisetzung
in der gefährdeten Außenzone der Festungswerke erfolgte, ist damit
mehr als unwahrscheinlich.
1757
erschien zwar erstmals eine kleine Gruppe französischer Soldaten vor dem
Müllertor, das Lager war jedoch in Niedervellmar aufgeschlagen; ohne
Kampfhandlungen wurde die Stadt übergeben. Kurz darauf bezog die
vollzählig eingetroffene Armee ein Lager auf dem Forst, also
südöstlich der Stadt. Die Besatzung wurde in den Kasernen und bei
Bürgern einquartiert, das übrige Militär zog weiter. 1758 verließ
die Besatzung die Stadt geordnet wieder durch das Müllertor.
Nach der
Schlacht vom Sandershäuser Berg wurde Kassel erneut besetzt; ein Lager
wurde auf dem Kratzenberg angelegt, also westlich der Stadt und abseits vom
fraglichen Gelände. Ein weiteres Lager entstand wenig später bei
Wolfsanger. Ende des Jahres zogen die Franzosen nach Süden in Richtung
Main weiter.
1759 wurde
Kassel zum dritten Mal besetzt; französische Lager standen auf dem Forst
(südöstlich der Stadt), bei Landwehrhagen und wiederum auf dem
Kratzenberg. 1500 Kranke und Verwundete lagen in Lazaretten. Alliierte Truppen
nahmen die Stadt dann durch das Unterneustädter Tor ein, also ebenfalls
östlich der Fulda.
1760
rückten französische Truppen über Kirchditmold, Wahlershausen
und den Kratzenberg an, die Allierten zogen durch die Unterneustadt und die
Sandershäuser Straße ab. Während man zuvor schon begonnen
hatte, die Festungswerke zu verstärken, wurde nun besonders am
Gießberg und Totenberg weitergearbeitet (also den nordwestlichen
Befestigungen).
1761 wurde
die Stadt von den alliierten Truppen belagert – im weiten Umkreis von
Harleshausen über Ihringshausen bis Wolfsanger. Ein Laufgraben wurde vom
Fasanenhof nach Westen bis zum heutigen Hauptfriedhof getrieben –
ebenfalls in großem Abstand zur Stadt. Die Belagerer wurden durch einen
französischen Ausfall im Bereich des heutigen Klinikums überrumpelt,
konnten ihn aber zurückschlagen. Weitere Ausfälle wurden vor dem
Ahnaberger Tor (Weserstraße) unternommen, um dort sämtliche
Gebäude niederzubrennen und die Gärten zu verwüsten.
Während der Ausfälle gab es heftiges Geschützfeuer. Mehrfach
beschossen die Belagerer die Bastionen und Wälle der Stadt vom
Möncheberg aus, bis sie die Belagerung schließlich erfolglos
aufhoben. – Ein Massengrab für Seuchenopfer in der Kampfzone
wäre unter diesen Umständen undenkbar gewesen. Gefallene Soldaten
wurden hier aber auch nicht beigesetzt; das Fehlen von Verletzungen und von
Uniformresten spricht dagegen.
1762 bezogen
die Franzosen Stellung zwischen Wilhelmsthal und Grebenstein und erlitten eine
Niederlage; in der Folge blieb nur noch das Lager auf dem Kratzenberg besetzt,
und sie nahmen die Höhen von Lutterberg und Landwehrhagen ein. Auch die
Alliierten bezogen in weitem Umkreis Stellung (Ihringshausen, Landwehrhagen,
Baunsberg, Simmershausen). 3000 Einwohner verließen wegen Mangels an
Lebensmittel die Stadt. Alliierte Laufgräben entstanden hinter
Rothenditmold, auf dem Möncheberg und bei der Pulvermühle, Richtung
Bettenhausen. Ein Ausfall bei Bettenhausen war nur kurzzeitig erfolgreich. In
der Folge wurde das Gebiet zwischen Kassel, Rothenberg und Möncheberg
(Klinikum) wieder Kampfgebiet. Die Alliierten setzten sich aber
schließlich von Rothenditmold kommend durch, und das Müllertor wurde
ihnen überlassen. Der Einzug erfolgte also von Nordwesten. Das gesamte
Umland der Stadt war verwüstet.
(Brunner,
Geschichte der Residenzstadt Cassel, 919-1913, S. 260-285.)
Wenn in Zeiten der Belagerung(en) auf den
Wällen Beisetzungen erfolgten, dann deshalb, weil Beisetzungen auf den
Friedhöfen (heutiger Lutherplatz und am Pulvermühlenweg) zu riskant
waren: Man beerdigte an Stellen, wo dies gefahrlos möglich war, die aber
dennoch nicht im bewohnten Gebiet lagen – auf den Wällen innerhalb der Stadtgräben, nicht
auf den Kontereskarpen, die im Schußfeld lagen. (Selbst der
Garnisonsfriedhof auf der Kontereskarpe zwischen Hohem Tor und Müllertor
dürfte damals nicht genutzt worden sein.) Auch ist [weitgehend]
auszuschließen, daß es sich um Tote aus den französischen
Lazaretten innerhalb der Stadt handelte, da auch in diesem Fall Verletzte
darunter sein müßten.
[Zu den Beisetzungen während der
Belagerungen vgl. eine Notiz von Diemar zum Gefangenenhaus am Druselturm: ... vor mehreren Jahren [vor 1888] fand sich ein männliches Skelett in
einem ziemlich erhaltenen Sarge, es scheint dies ein damaliger
Gefängnißwärter gewesen zu sein, der hier provisorisch
begraben, später aber vergessen worden ist. Dergleichen Begräbnisse
waren dahier während der Belagerung der Festung im siebenjährigen Kriege,
da die Todten auf dem alten Todtenhofe nicht beerdigt werden konnten, nicht
selten. (Zitiert nach Holtmeyer, Cassel-Stadt, S. 584, Anm. 4.)]
3.)
1806 besetzten französische Truppen die Stadt, und
20.000 Soldaten lagerten vor dem Müllertor.
Die Art der Beisetzung deutet auf ein
Notgrab hin. Kranke Soldaten wurden damals jedoch in der Charité
gepflegt (s. 30. Jan. 2008), wo auch ein eigener Notfriedhof bezeugt ist.
Diese Möglichkeit ist zwar nicht
vollkommen auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich.
Abschließend ist noch auf die Wälle
(Kontereskarpen) zurückzukommen, welche vom Neuen Tor (etwa
Königsplatz) auf der West- und Nordseite bis zum fraglichen Gelände
reichten: Sie sind auf allen Stadtplänen und Detailplänen der
Befestigung im 18. Jh. eingetragen, erstmals um 1710 (Holtmeyer, Tafel 66,1).
Stadtplan von (1742) 1757
Vor dem Befestigungsgraben liegen die
Kontereskarpen; rot eingefärbt zwischen Ahna und Graben ist das
spätere Grundstück des Militärzimmerplatzes bzw. der Artillerieställe.
Der Ravelin rechts davon ist in Resten noch auf dem Lageplan des
Kasernengeländes um 1810 zu erkennen und stammt einschließlich der
angrenzenden Kontereskarpe vor dem Ahnaberger Tor aus der Zeit um 1620/25.
– Leider ist kein exakter, maßstäblicher Plan bekannt.
Vgl. um 1736 (!): http://212.202.106.6:8080/docuserver/digilib.jsp?fn=hires/G84653.jpg&mo=q2
und um 1751: http://212.202.106.6:8080/docuserver/digilib.jsp?fn=hires/G84422.jpg&mo=q2).
Diese Kontereskarpen wurden ab ca. 1681
aufgeschüttet und waren spätestens 1751 weitgehend vollendet;
Restarbeiten wurden möglicherweise noch um 1760 am Hohen Tor und
Gießberg ausgeführt.
In den
Katasterkarten von 1686 fehlen die Kontereskarpen auf der Nordseite noch
weitgehend – bis auf ein Stück zwischen Ahna und Graben, von der
Mönchebergstraße bis zur Fulda; dieser Abschnitt war bereits um
1620/25 errichtet worden (vgl. Holtmeyer, Cassel-Stadt, S. 116f.).
Allerdings
sind um 1681/83 erste Arbeiten am Hohen Tor bezeugt, wo zahlreiche Bürger
ihre Gärten beim Bau der neuen Kontereskarpe einbüßten (ebd.,
S. 116) – und hier ist sie auch 1686 schon zu erkennen. 1736 ist die neue
Kontereskarpe an der Ahna erst angedeutet, der Fluß hat offenbar noch
sein altes Bett. In den späteren Plänen (1742/57 und um 1751) ist sie
dann bereits ausgebaut, mit erkennbaren Batteriestellungen, und die Ahna
erscheint kanalisiert. Dazu paßt die Mitteilung, daß im
Siebenjährigen Krieg 1760 auch noch an den Befestigungen am Hohen Tor und
Gießberg weitergearbeitet wurde. (Im Südwesten der Stadt verhinderte
die Oberneustadt, die dicht von den Gräben entstanden war, den Bau der
Kontereskarpe.)
Wenn der Wall an der Ahna aber schon zu
Beginn des Siebenjährigen Krieges vorhanden war und erst mit der
übrigen Befestigung ab 1767 geschleift wurden, so scheidet dieser Zeitraum
für das gefundene Notgrab ohnehin aus: Die Kontereskarpe fiel bis zur
kanalisierten Ahna schräg ab, die Beisetzungen zeigen aber eine
horizontale Lage; sie sind statt dessen auffallend auf die Fläche der
späteren Reitbahn beschränkt, die planiert und zur Ahna hin aufgeschüttet
war.
Ohne genaue Höhenschnitte sind zwar
keine sicheren Aussagen möglich, doch ist in den Zeichnungen um 1810/13
(s.o.) eindeutig eine steile Böschung am Rand der Reitbahn eingetragen,
die zur Ahna hin abfiel
(http://212.202.106.6:8080/docuserver/digilib.jsp?fn=hires/G82777.jpg&mo=q2
und
http://212.202.106.6:8080/docuserver/digilib.jsp?fn=hires/G83911.jpg&mo=q2).
Demnach war die Wallschräge im Bereich
der Reitbahn aufgeschüttet worden und erreichte vermutlich das
Vorkriegsniveau; dieselbe Höhe hat das Gelände bis zu den aktuellen
Ausschachtungsarbeiten behalten, wobei sie an der Henschelhalle
(Sophie-Henschel-Haus) noch erkennbar ist. Diese Geländeoberkante liegt
mind. 0,5m unterhalb des ansteigenden Niveaus der Kurt-Wolters-Straße.
Die Tiefe der Gebeine ca. 2m unter Straßenniveau bedeutet also eine Tiefe
von max. 1,5m unter dem Niveau der früheren Reitbahn [– und damit
nach den Aufschüttungen ab 1767]. Am Sophie-Henschel-Haus fließt die
kanalisierte Ahna etwa 3m unter dem Reitbahnniveau. – Allerdings müßten
noch die genauen Maße ermittelt werden, da es sich nur um ungefähre
Schätzungen handelt.
Wenn die Reitbahn
aber bereits aufgeschüttet war und die Gebeine in üblicher
„Begräbnistiefe“ eines Massengrabs (ohne Särge) unter
ihrem Niveau lagen, ist eine Datierung des Notfriedhofs in die Zeit vor Anlage
der Reitbahn bzw. des Militärzimmerplatzes weitgehend
auszuschließen!
Für eine erste
sichere Eingrenzung des terminus post
quem brauchen damit nur drei Fragen geklärt zu werden:
1.)
Welche Höhe über NN hatte die Reitbahn (bzw. der
Kfz-Hof bis zu den Ausschachtungsarbeiten)?
2.)
In welcher Höhe fließt die Ahna an dem
Gelände vorbei (OK Wasserspiegel über NN)?
3.)
In welcher Höhe über NN waren die Toten beigesetzt?
In dem HNA-Artikel vom 31. Jan. wird
außerdem ein „Totenhaus“ erwähnt, das 1830 vorhanden gewesen
sei. Bei diesem Gebäude handelt es sich um ein Zubehör zum
Garnisonslazarett; Entwürfe von 1829 sind erhalten (vgl. Bildarchiv Foto
Marburg http://www.bildindex.de/bilder/MI06073e03a.jpg),
das Gebäude wurde damals hinter dem Hauptgebäude des Lazaretts
errichtet (vgl. oben die Lagepläne von ca. 1860 und 1896). Ein
Zusammenhang mit dem Notfriedhof ist unwahrscheinlich.
1. Febr. 2008:
Bürgermeister und Kulturdezernent Thomas-Erik
Junge erklärte gemäß HNA, daß er mit Nachdruck darum
geworben habe, daß sich die Universität an einer Aufklärung der
Funde beteilige. Es gehe immerhin um die Überreste von Menschen, deren
Schicksal es aufzuklären und mit Respekt zu behandeln gelte. Nach
Informationen Junges befänden sich nach wie vor Knochen in der
Gießener Rechtsmedizin und in
einem Kieler Institut. Darunter sollen auch Fingerknochen mit Teilen eines
Ringes sein, die eine Datierung u.U. ermöglichen könnten. Auch sollen
einige Knochen aufgehoben werden, um sie für weitere Untersuchungen zur
Verfügung zu halten.
Anfallende Kosten für die Beisetzung
der Toten werde die Stadt übernehmen.
4. Febr. 2008:
Eine Anfrage des Stadtarchivs Kassel im Hessischen
Staatsarchiv in Marburg ergab folgendes:
Während verschiedene
militärhistorische Bestände aus der Zeit um 1813/14 in Stichproben
keine Ergebnisse brachten, enthalten Akten der westphälischen
Verwaltungsbehörden und des Kurhessischen Obermedizinalkollegiums
mehrere Hinweise auf eine „Nervenfieberepidemie“, die ab der
zweiten Oktoberhälfte 1813 in der als Militärhospital dienenden
Charité (damals mit 600 Patienten belegt) grassierte. Als
Ausweichlazarett sollte zunächst das israelische Hospital in Bettenhausen
dienen.
Die desolaten Zustände im ehem.
Modellhaus wurden ebenfalls bestätigt: Trotz starker Belegung als
Militärlazarett habe es im November und Dezember 1814 über keinen
Arzt verfügt; im Januar 1814 befanden sich dort 300 Kranke, darunter 130
Verwundete. Da die Aufsicht über sämtliche Hospitäler (und die
Militärlazarette) in Kassel einer städtischen Kommission unterstand,
sind in den staatlichen Akten vermutlich keine weitere Einzelheiten zu
erwarten. Lageberichte des Militärkommandanten von Kassel sind für
den fraglichen Zeitraum nicht überliefert.
(Freundliche Mitteilung des Stadtarchivars
Herrn Klaube; Bearbeiter in Marburg: Herr Klingelhöfer.)
Die städtischen Akten sind 1943 leider
verbrannt. Da das Kasernengelände allerdings Staatsbesitz war, ist es
möglich, daß in den staatlichen Militärakten zu den Kasernen
noch ein Hinweis auf die Anlage des Notgrabes zu finden ist.
8. Febr. 2008:
Die Gebeine wurden in sechs Särgen auf
dem Kasseler Hauptfriedhof beigesetzt. Die Bestattung nahmen die evangelische
Dekanin Barbara Heinrich und der katholische Dechant Harald Fischer vor; die
Stadt wurde von Bürgermeister Thomas-Erik Junge vertreten, die
Universität von ihrem Kanzler, Dr. Robert Kuhn. Junge erklärte,
daß er sich mit dem Präsidenten der Universität, Prof. Dr.
Rolf-Dieter Postlep, einig sei, das Rätsel aufzuklären. Falls man
für weitere Untersuchungen Geld in die Hand nehmen müsse, werde man
dies auch tun. – Eine Gedenktafel an der Fundstelle soll an die Toten
erinnern. (HNA vom 9. Febr. 2008.)
20. Febr.
2008:
Gemäß HNA soll nun doch das
Alter der Skelette bestimmt werden: Oberstaatsanwalt Hans-Manfred Jung
erklärte auf Anfrage der Zeitung, daß der Rechtsmediziner
Privatdozent Dr. Marcel Verhoff (Gießen) die Liegezeit ermitteln solle.
Nachdem er zu dem Ergebnis gekommen war, daß die Gebeine aus der Zeit vor
dem Zweiten Weltkrieg stammen, waren die Ermittlungen eingestellt worden;
allerdings hätten sich immer wieder Zweifler zu Wort gemeldet, so
daß die Liegezeitbestimmung jetzt
die allerletzten Spekulationen aus dem Weg räumen solle.
2. März
2008:
Nachtrag zu Beisetzungen während der
Belagerungen im Siebenjährigen Krieg (zum 31. Jan. 2008).
26. Aug. 2008:
Pressemitteilung des Polizeipräsidiums
Nordhessen:
POL-KS: Gemeinsame Presseerklärung von
Polizei und Staatsanwaltschaft Kassel: Gutachten zu Kasseler Skelettfunden
liegt jetzt vor: Tote vermutlich Opfer einer Typhusepidemie aus dem Jahr 1814
Kassel (ots) - Die Kasseler
Staatsanwaltschaft hat am 20. August das forensisch-osteologische Gutachten zur
abschließenden Beurteilung der Liegezeit der Mitte Januar in Kassel auf
einer Uni-Baustelle gefundenen Skelette vom Institut für Rechtsmedizin der
Universität Gießen erhalten. Das Gutachten der Giessener Rechtsmediziner
stützt sich - neben den eigenen Untersuchungsergebnissen - außerdem
auf die durch das Physikalische Institut der Uni Erlangen durchgeführte
und vom Frankfurter Institut für Rechtsmedizin interpretierte
Radiocarbon-Datierung.
Schon in einem ersten Gutachten Ende Januar
hatten die Wissenschaftler eine Liegezeit vermutlich deutlich vor dem zweiten
Weltkrieg herausgearbeitet. Gänzlich fehlende Spuren erforderlicher
Zahnbehandlungen untermauerten diese These. An den zumeist männlichen
Knochenskeletten fanden sich außerdem keine Spuren von äußerer
Gewalteinwirkung wie Hieb-, Stich-, Schuss- oder Strangulationseinwirkungen.
Die Alters- und Geschlechtsverteilung bei den Skeletten ließ allerdings
einen militärischen Kontext vermuten. Die Bestattungssituation deutete
aber nicht auf ein Massengrab hin, sondern eher darauf, dass innerhalb eines
kurzen Zeitraums zahlreiche Verstorbene auf begrenztem Raum beigesetzt werden
mussten. Auffällig war außerdem, dass bei keinem der Skelette
Bekleidungsreste gefunden wurden.
Nach den historischen Ermittlungen soll sich
in der Nähe des Auffindeortes um das Jahr 1800 herum ein
Militärlazarett und daneben eine Kaserne befunden haben. 1814 soll eine
schwere Typhusepidemie ausgebrochen sein, in deren Folge das Militärlazarett
zu klein geworden sei und man auch die angrenzende Kaserne als Lazarett
verwendet habe(1). Infolge dieser Epidemie sollen so viele
Tote angefallen sein, die man innerhalb kurzer Zeit habe bestatten müssen.
Das ermittelte Radiocarbonalter von 195
plus/minus 41 Radiocarbonjahren passt in den Zusammenhang der bisherigen
Annahmen. Durch dieses Ergebnis kann laut Gutachten mit einer Gewissheit von
95,4% belegt werden, dass die zu den Knochen gehörige Person vor 1950
verstorben sein muss. Mit einer 79,1%-igen Gewissheit ist die Person vor 1879
verstorben, wobei am ehesten ein Todeszeitraum zwischen 1721 und 1816 in
Betracht kommt. Das umfangreiche Gutachten endet mit dem Fazit, dass das
Ergebnis der Radiocarbon-Datierung die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es
sich bei den untersuchten Skeletten tatsächlich um Opfer der Kasseler
Typhusepidemie aus dem Jahr 1814 handelt.
Hans-Manfred Jung Oberstaatsanwalt
Wolfgang Jungnitsch Kriminalrat
(http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/44143/1253528/polizeipraesidium_nordhessen_kassel)
(1) Hier liegt anscheinend ein
Mißverständnis vor: Die Charité, welche damals als
Militärlazarett diente, lag an der Leipziger Straße weit entfernt
von der als Ausweichlazarett genutzten Schützenkaserne.
27. Aug. 2008:
Anmerkung zum forensischen Gutachten:
Entscheidend ist die zeitliche Eingrenzung
des wahrscheinlichen Todeszeitraums auf vor
1879 bzw. zwischen 1721 und 1816.
Ein Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen kann endgültig ausgeschlossen
werden, wobei Alter und Geschlecht der Toten aber auf
Militärangehörige hindeuten und das Gutachten die Deutung als
Notfriedhof für Seuchenopfer stützt (vgl. zum 25. und 30. Jan. 2008). Zwar ist auf forensischem Wege keine
genauere Datierung und keine Ermittlung der Todesursache möglich, doch
sind die Ergebnisse ein weiterer, wichtiger Mosaikstein in der historischen
Zuordnung.
Die engere Eingrenzung zwischen 1721 und 1816 macht einen Zusammenhang mit dem
nördlich angrenzenden Militärlazarett von ca.
1830-1886 eher unwahrscheinlich, andererseits können die Beisetzungen wohl
erst nach der Schleifung der Befestigungsanlagen 1767-74 erfolgt sein, als das
fragliche Gelände zu einer ebenen Fläche aufgeschüttet und
planiert wurde (vgl. zum 31. Jan. 2008). Wir
erhalten damit einen wahrscheinlichen Zeitraum von ca. 1774 bis ca. 1816, in
dem die Typhusepidemie von 1814 das (auch im Wortsinn) naheliegendste Ereignis bildet.
Der Aussage des Gutachtens ist damit nichts hinzuzufügen, dass
das Ergebnis der Radiocarbon-Datierung die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass
es sich bei den untersuchten Skeletten tatsächlich um Opfer der Kasseler
Typhusepidemie aus dem Jahr 1814 handelt.
Endgültige Sicherheit allerdings wird
vermutlich nicht mehr zu erlangen sein (vgl. oben die Quellenlage, Absatz vom 4. Febr. 2008) – sofern nicht durch
Zufallsfunde z. B. in Nachlässen oder privaten, zeitgenössischen
Briefwechseln weitere Informationen zu den Ereignissen von 1814
bekannt werden.
2. Oktober
2008:
Zum Vergleich: Typhus-Epidemien 1813/14 in
Mainz, Halle und Helsa
Für Mainz ist ebenfalls eine, ja wohl
noch weitaus schlimmere Typhus-Epidemie belegt, als sie 1813/14 in Kassel herrschte:
Nach der Völkerschlacht bei Leipzig strömte die geschlagene
napoleonische Armee nach Westen, abgerissen
in ihren Kleidungsstücken, nur in Lumpen noch gehüllt, kämpfend
mit Hunger, Unreinlichkeit und allen Entbehrungen bei einer kalten und nassen
Witterung, fanden eine Menge ihren Tod auf dem Wege und verbreiteten aller
Orten eine verheerende Ansteckung. 30.000 Soldaten sollen damals nach Mainz
gekommen sein, Notunterkünfte und Hospitäler waren
überfüllt. In wenigen Tagen war
der Spitaltyphus zu einer Höhe gestiegen, die aller Orten Grausen erregte.
[...] Zu Hunderten starben die Menschen
an einem Tage. [...] Ich selbst sah
dem Raimundithor gegenüber, neben dem Schloßgebäude Haufen von
Leichen liegen, die man vielleicht zum Theil halbtodt aus den Fenstern der
obern Säle herunter geworfen hatte, ich sah vor der Peterskirche, vor der
Franziskanerkirche todte Soldaten in ihren Uniformen liegen, ich sah
Leiterwagen, ganz von solchen vollgeladen, zum Münsterthor hinausfahren,
wo Arme und Füße aus den Leitern der Wagen heraushingen. Auf dem
großen städtischen Kirchhofe konnten sie nicht mehr beerdigt werden,
andernwärts wurden sie in große viereckige Gruben zu drei bis
vierhunderten geschüttet und einige Fuß hoch mit Erde bedeckt. [...]
Niemand wollte sich noch zur Wartung und
Pflege der Unglücklichen hingeben. Man war gezwungen, Verurtheilte aus den
Gefängnissen zu nehmen und sie mit Versprechung ihrer Freilassung, zu
diesem Liebesdienst bewegen, man mußte arme Leute gut bezahlen, um sie zu
dem gefahrvollen Dienst zu dingen. Selbst das Rindvieh, das man in die Kirchen
brachte, worin vorher typhuskranke Soldaten gelegen hatten, wurde von dieser
Krankheit angesteckt [...], sie
stürzten zusammen und krepirten. Vom 9. November 1813 bis 1. Mai 1814
sollen 2418 Bürger und 21.006 Militärangehörige an der Seuche
gestorben sein (nach anderer Angabe 2445 Bürger und 17.000 Militärangehörige).
(Schaab,
Karl Anton: Die Geschichte der Bundes-Festung Mainz, historisch und
militärisch nach den Quellen bearbeitet, Mainz 1835, S. 484-492. Freundlicher Hinweis von
Herr Jürgen Hammer.)
In einer Chronik aus Halle heißt es:
Im
Monat October [1813] entstand in
Halle durch die vielen Militär-Lazarethe ein sehr bösartiges
Nervenfieber, wovon fast kein Hauß verschont blieb. Mit Einschluß
der in den
Militär-Hospitälern starben in Zeit von 3 Monaten 2914 Personen;
fürchterlich wüthete der Todt, ganze Familien starben aus, auf allen
öffentlichen Plätzen wurden Feuer zur Räucherung, besonders mit
Wacholderbeeren, angezündet, und jeden männlichen Einwohner wurde es
zur Pflicht gemacht, überall auf jeden seiner Wege Taback zu rauchen.
(Welch ein Unterschied gegen jetzt [ca. 1833], wo jeder, welcher auf der Strase Taback raucht, eine Strafe von 2
Thlr. zahlen muß.)
(Aus:
Knasterkopf. Fachzeitschrift für Tonpfeifen und historischen
Tabakgenuß, Bd. 19 (2007), S. 166; freundlicher Hinweis von Frau Pape,
U.B. Kassel.)
Gemäß der HNA vom 11. Sept. 2008
fielen 1814 auch in Helsa zahlreiche Menschen einer Typhus-Epidemie zum Opfer:
1956 war ein Notgrab mit 6 Beisetzungen aufgedeckt worden (HN vom 2. Juni
1956), und der Vorsitzende des Helsaer Geschichtsvereins, Herbert Brandt,
ermittelte nun zeitgenössische Berichte; so schrieb der damaligen
Pfarrers Rohde: Sind also im Jahre 1814
vierzig Menschen, nämlich 16 männl. und 26 weibl. Geschlechts allhier
begraben worden [...]. Dieses bleibt [...]
für Helsa ein ewig denkwürdiger
Zeitraum, worin wegen der Retraids der Franzosen und des Durchzuges der Russen
und einig Preußen das Sterbefieber als Folge der Angst, Not und Schrecken
hier wütete [...]. Und der Helsaer Grebe Vogt berichtete: Was für Drangsale die Gemeinde bei den
kaiserlich russischen Einquartirungen und Durchmärschen erlitten hat,
lässt sich kaum beschreiben. 1tens entstand eine Viehseuche unter dem
Rindvieh, wodurch der größte Teil cerierte. 2tens brach ein
Nervenfieber unter den hiesigen Einwohnern aus, welches die Russen uns
mitbrachten, und 13 Familienväter ein Opfer derselben wurden. Brandt
vermutet nun, daß die Toten, alles Erwachsene großer
Körpergröße, aus den Reihen der 700 damals in Helsa
untergebrachten Russen stammten, während die Dorfbewohner ordentlich
beigesetzt wurden.
Die in Halle beschriebenen
Gegenmaßnahmen machen auch noch einmal deutlich, daß in jener Zeit
über die Übertragung der Krankheit völlige Unklarheit herrschte
und man damals noch krankmachende Dünste als Ursache vermutete; in
gleicher Weise versuchte man 1830 auch noch in Kassel, sich mit Pfeifenrauch
vor der Cholera zu schützen. (Da
besonders die Herbstnebel gefährlich sein sollten, deren Einwirkungen man
durch den Dampf der Tabakspfeife abwenden zu können meinte, so wurde
selbst Kurfürst Wilhelm II. von Hessen bestimmt, in seinen
vorgerückten Jahren Taback zu rauchen, was bis dahin seine Gewohnheit
nicht war. [Er erhielt kostbare Pfeifen als Geschenke,] sobald aber die Cholera und mit ihr das viel
größere Gespenst der F u
r c h t vor der Cholera wieder
abgezogen war, unterblieb auch das nur mit Widerstreben angenommene
Tabacksrauchen und der Kurfürst verschenkte seine 32 Pfeifen von
Meerschaum mit Silberbeschlägen seinen Hofherren und Dienern [...]
Aus: Aus den Tagen eines erloschenen Regentenhauses in seiner ehemaligen
Residenz, Hannover 1878, S. 97.)
Aus den Kasseler Kirchenbüchern lassen
sich nur wage Hinweise gewinnen; Bemerkungen zur Todesursache fehlen ganz,
so daß auch bei den Todesfällen im Winter 1813/14 nicht unbedingt
ein Zusammenhang mit dem Typhus bestehen muß:
Todesfälle 1813/14 im Zusammenhang mit
der Charité:
Im März
1813 Chr. Heuser, Krankenwärter der Charité (56 Jahre),
Ph. Demme
aus Herstelle, gest. in der Charité (31 Jahre),
E. Nadler,
gest. in der Charité (64 Jahre),
J. H.
Schweinebraten, gest. in der Charité (48 Jahre),
Fr. Winkler,
Schuhmacher aus Königsberg, gest. in der Charité (27 Jahre),
im April
1813 H. Müller, Schreiner, aus Königsberg gebürtig, gest. in der
Charité (26 Jahre),
Fr. W.
Wildner, Schuhmacher, gest. in der Charité (29 Jahre),
im April /
Mai 1813 Fr. Senner, Krankenwärter der Charité (45 Jahre),
J.
Steinmetz, Krankenwärter der Charité (50 Jahre),
Chr.
Vogelsang, Schneider aus Königsberg, gest. in der Charité (23
Jahre),
G. Walz,
Krankenwärter der Charité (36 Jahre),
im Mai 1813
J. Walter, Maurer, gest. in der
Charité (Doppelnennung? 34 Jahre / 37 Jahre),
J. Fehling,
Reitknecht aus Mainhausen (?), gest. in der Charité (38 Jahre),
J. Lips,
Krankenwärter der Charité (46 Jahre),
J. P.
Schröder, Krankenwärter der Charité (45 Jahre),
im Juni /
Juli 1813 D. Tackmann, Hutmachergeselle, gest. in der Charité (49
Jahre),
im Juli 1813
D. Dackmann, ein Hutmacher aus Wittstock (Brandenburg), gest. in der
Charité (58 Jahre),
im Aug. 1813
J. Ph. Dönges, Tagelöhner, gest. in der Charité (39 Jahre),
im Aug. /
Sept. 1813 Ph. Dönges, Tagelöhner aus Cassel, gest. in der
Charité (?) (24 Jahre),
Im Nov. 1813
die Frau des Charité-Apothekers Franke (63 Jahre),
der
Magazinverwalter A. Jericho, gest. in der Charité (25 Jahre),
G. Koland,
Hufschmied aus Spangenberg, gest. in der Charité (26 Jahre),
im Nov./ Dez.
1813 J. Nestelthau, Krankenwärter der Charité (23 Jahre),
im Dez. 1813
Ph. Gräbe, Kutscher aus Kassel, gest. in der Charité (39 Jahre),
L. Fischer,
Schreiner aus Kassel, gest. in der Charité (43 Jahre),
J. Lips,
Krankenwärter der Charité (33 Jahre),
Fr.
Vollhaber, Ökonom des Militärhospitals (= Charité? 35 Jahre),
J. Wickmann,
aus Bettenhausen, gest. in der Charité (27 Jahre),
im Jan. 1814
J. Felsner, Schlosser aus Memel, gest. in der Charité (20 Jahre),
Cd.
Albrecht, Krankenwärter der Charité (30 Jahre),
N. Mertinet,
Tagelöhner, gest. in der Charité (70 Jahre),
im Febr.
1814 H. Lins, Krankenwärter der Charité (60 Jahre),
Wenzeslaus
Schimel, Schreinergeselle, gest. in der Charité (19 Jahre),
im Febr. /
März 1814 J. H. Schweinebraten, gest. in der Charité (48 Jahre),
im März
1814 J. Ernst Koch, kgl. sächsischer Landwehrmann, gest. in der
Charité (42 Jahre),
E. Wolfram,
Inspektor des Militärlazaretts in der Charité (42 Jahre),
im April
1814 der Tapezierer J. Bassery, gest. in der Charité (50 Jahre),
im Aug. 1814
Alexis Czernitschow, Schneider, in Rußland gebürtig, gest. in der
Charité (38 Jahre),
im Nov. 1814
G. Steiner, Schuhmachermeister aus Warschau, gest. in der Charité (25
Jahre),
Elisabeth
Thielemann, Dienstmagd aus Wolfhagen, gest. in der Charité (26 Jahre).
Todesfälle im Zusammenhang mit dem
Hospital in der Ahnaberger Klosterskaserne und dem „Krankeninsitut“
(?):
Im Jan. 1813
Elisabeth Schade aus Kassel, gest. im Hospital Ahnaberg (24 Jahre),
im April
1813 Catharine Wassermann, gest. im „Krankeninstitut“ (35 Jahre),
Gertrud
Weihe aus Kannefeld, gest. im Hospital Ahnaberg (40 Jahre),
im Mai 1813
J. Hirdes, gest. im „Krankeninstitut“ (75 Jahre),
im Mai /
Juni 1813 Johanne Sophie Grotrian aus Goslar, im Hospital Ahnaberg (23 Jahre),
im Juni 1813
Catharine Moshauer, gest. im Hospital Ahnaberg (15 Jahre),
im Juni /
Juli 1813 Anne Elisabeth Albrecht, gest. im Hospital Ahnaberg (54 Jahre),
im Juli 1813
Marie Jacob, Dienstmagd, aus Marburg gebürtig, im Hospital Ahnaberg (38
Jahre),
im Aug. 1813
Elisabeth Conradi, im Hospital Ahnaberg (18 Jahre),
im Sept.
1813 Elisabeth Hebel aus Marburg, im Hospital Ahnaberg (21 Jahre),
Anne
Catharine Schmull, aus Kassel gebürtig, gest. im Hospital Ahnaberg (40
Jahre),
im Okt. 1813
Karoline Lengenhagen, gest. im
Hospital Ahnaberg (32 Jahre),
im Nov. 1813
Elisabeth Caßlett, aus Kassel gebürtig, gest. im
„Krankeninstitut“ (77 Jahre),
Elise
Dilling, aus Hersfeld gebürtig, gest. im Hospital Ahnaberg (30 Jahre),
Marie Stemm,
aus Nordshausen gebürtig, gest. im Hospital Ahnaberg (21 Jahre)
Caroline
Sippel, aus Kassel gebürtig, gest. im „Krankeninstitut“ (38
Jahre),
im Dez. 1813
die Dienstmagd Chr. Koch, aus Udenhausen gebürtig, im Hospital Ahnaberg
(20 Jahre),
Magdalene
Kothe, aus Kassel, gest. im Hospital Ahnaberg (32 Jahre),
Dorothee
Kehl, Dienstmagd aus Kassel, gest. im Hospital Ahnaberg (ohne Altersangabe),
Febr. /
März 1814 J. Schäfer, gest. im „Krankeninstitut“ (97
Jahre),
April 1814
Louise Knierym, gest. im Hospital Ahnaberg (20 Jahre),
im Juni 1814
Elisabeth Riehl aus Kassel, gest. im Hospital Ahnaberg (34 Jahre),
Frau Rothe,
eine Witwe, gest. im „Krankeninstitut“ (40 Jahre),
Catharine
Wese, aus Melsungen, gest. im Hospital Ahnaberg (24 Jahre),
im Juli /
August 1814 Henriette Bottjeu, gest. im „Krankeninstitut“ (ohne
Altersangabe),
im Sept.
1814 die Dienstmagd E. Daub aus Gilsa, gest. im Hospital Ahnaberg (25 Jahre),
Elisabeth
Wenderoth, aus Wehlheiden, gest. im Hospital Ahnaberg (40 Jahre),
im Nov. 1814
Elisabeth Pickhard aus Kassel, gest. im „Krankeninsitut“
(36½ Jahre),
im Dez. 1814
A. Marie Trilling (Witwe), gest. im „Krankeninstitut“ (57 Jahre).
(Ahnaberger
Hospital und Krankeninstitut waren beide der Unterneustädter
Kirchengemeinde zugeordnet, ebenso wie die Charité).
Todesfälle im Zusammenhang mit dem
Militärlazarett im ehem. Modellhaus:
im Juni 1814
F. Hörlein, Krankenwärter im Hospital des Modellhauses (43½
Jahre),
(Angaben
aus: Helmut Thiele: Einwohner und Familien der Stadt Kassel.
Eheschließungen, Geborene, Verstorbene 1731-1839, Bd. 9ff., Verstorbene,
(Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck e.V.) Kassel
1986).
Auffallend ist eine offenbar erhöhte
Sterblichkeit unter dem Personal der Charité im Winter 1813/14, wobei
aber auch im März bis Mai 1813 bereits sechs Krankenwärter gestorben
waren. Ab dem Frühjahr 1814 ist allerdings wieder ein deutlicher
Rückgang der Todesfälle zu bemerken.
Im Hospital in der Ahnaberger
Klosterkaserne, welches damals als Ausweichstelle der Charité für
Zivilisten (nur Frauen?) eingerichtet war, ist im Nov./Dez. 1813 eine leicht
erhöhte Sterblichkeit jüngerer Frauen zu verzeichnen.
Für das Militärlazarett im ehem.
Modellhaus werden Todesfälle unter den Kranken (man bedenke: im Januar
1814 lagen dort 300 Menschen!) gar nicht erst verzeichnet, was mit den
beschriebenen chaotischen Verhältnissen und der hohen Sterblichkeit
in jenem Lazarett zusammenhängen dürfte. Der einzige
verzeichnete Todesfall stammt aus dem Sommer 1814, als die Seuche wohl bereits
auf dem Rückzug war; es ist möglich, daß hier in der Hauptzeit
der Epidemie nicht einmal Pflegepersonal eingesetzt war. Anscheinend trug diese Isolierung der
Kranken dazu bei, ein Ausbreiten des Typhus auf die Kasseler Bevölkerung
weitgehend zu verhindern.
21. Juni 2009:
Die HNA berichtete am 3. Juni 2009
über die Ergebnisse eines Gutachtens, welches das Anthropologische
Institut der Universität Mainz angefertigt hatte; dies bestätigte im
wesentlichen die Erkenntnisse der älteren rechtsmedizinischen Untersuchungen
und erbrachte zusätzliche Ergebnisse:
Vermutlich
handelt es sich mit einer Ausnahme, einem Kind, ausschließlich um junge
Männer, Anfang 20. Zwar wurden drei Skelett-Teile gefunden, die auch einer
Frau zugeordnet werden könnten. Sie könnten aber auch von einem schmächtigen
Mann stammen.
Eindeutig
eingegrenzt werden kann die Todeszeit auf die Jahre 1721 bis 1816. Die jungen
Erwachsenen haben eine durchschnittliche Körpergröße von 1,70
Metern.
Insgesamt
läßt die Zusammensetzung der untersuchten Skelettteile den Schluss
zu, dass es sich um eine Kohorte mit militärischem Hintergrund handelt
– vermutlich Soldaten Napoleons. Auffällig ist, dass sich keinerlei
Hinweise auf stumpfe oder scharfe Gewalt finden lassen. Ein Mord als
Todesursache scheidet faktisch aus.
Auch
fehlen Anzeichen für verheilte Verletzungen und Frakturen. Interessante
Nebenbefunde sind jedoch pathologische Veränderungen bei einigen Skeletten
wie verheilte Knochenmarksentzüdungen oder Gelenkverschleiß.
Eine
exaktere Spezifizierung der Todesumstände, so die Mainzer
Universitätswissenschaftler, ist nicht möglich, weil das
Gelände, auf dem die Skelette gefunden wurden, mit Öl- und
Bezinablagerungen kontaminiert war. So lässt sich zum Beispiel auch nicht
sagen, ob die Leichen seinerzeit unbekleidet bestattet wurden oder ob die
Benzinrückstände eventuell Kleidungsstücke zerstört haben.
Gleich mehrere Kiefer wiesen zudem
Kariesbefall an den Zähnen auf.
Für
die Experten des Instituts für Anthropologie an der Mainzer
Gutenberg-Universität waren die Skelettfunde von solch großem
Interesse, dass sie auf eine reguläre Kostenberechnung verzichteten und
lediglich 1000 Euro Aufwandsentschädigung für die Untersuchung
berechneten.
(Wilhelm Ditzel:
Experten: Es war kein Mord, in: HNA vom 3. Juni 2009)
In Hinblick auf eine mögliche
Zerstörung von Kleidungsresten durch Öl- und Benzinablagerungen
wäre es für eine Bewertung allerdings wichtig, ob tatsächlich
die gesamten Bestattungen kontaminiert waren oder nur bestimmte Teilbereiche;
daher kann an dieser Stelle keine weitergehende Aussage getroffen werden.
Über eine Untersuchung und Datierung
des gefundenen Fingerrings gibt es bislang leider noch keine Informationen.
9. Juli 2009:
Ein Zufallsfund! – Am 21. Oktober 1936
berichteten die Kasseler Neuesten Nachrichten:
Großer
Skelettfund in der Bernhardistraße.
Uns
geht folgende Meldung zu: Auf dem Gelände der Artillerie-Kaserne der
ehemaligen 11er wurde bei Ausschachtungsarbeiten ein großer Skelettfund
gemacht. Zu kurfürstlichen Zeiten hat auf diesem Gelände bereits eine
Kaserne gestanden. Auch ein Lazarett soll zu kurfürstlichen Zeiten hier
errichtet gewesen sein. Vielleicht läßt sich so die große Zahl
der menschlichen Skelette, ca. 50 Stück an der Zahl, erklären. Weitere
Beifunde, die einen sicheren Schluß auf die Herkunft der Skelette ziehen
ließen, wurden bisher nicht gemacht.
Am folgenden Tag (22. Okt. 1936) erschien
ebenfalls in den KNN folgender Artikel:
Unbekanntes
aus Kasseler Geschichte. Der Skelettfund in der Bernhardistraße
Der
große Knochenfund, der gestern auf einem Bauplatz an der
Bernhardistraße gemacht wurde, ist von einem noch nicht gelüfteten
Geheimnis umwittert. Sicher ist bisher nur, daß es sich keineswegs um
einen vorgeschichtlich interessanten Fund handelt, vielmehr dürften die
menschlichen Skelette aus weit späterer Zeit stammen. Die ungeordnete Lage
der Knochen spricht für zwei Möglichkeiten: entweder sind es
Ueberreste menschlicher Skeletts von einem abgeräumten Friedhof oder es
handelt sich um eine in Kriegs- oder Epidemiezeiten schnell hergerichtete
Grabstätte. Gegen die letztere Annahme spricht allerdings wieder die
geringe Tiefenlage des Fundes, die ungefähr 2,50m Meter beträgt,
wobei zu bedenken ist, daß es sich um aufgeschüttetes Gelände handelt.
Die
für derartige Funde zuständigen Stellen sind z. Zt. mit der
näheren Erforschung beschäftigt. Leider schränkt die Eile, mit
welcher die Bauarbeiten an der Fundstelle vorangetrieben werden müssen,
die Möglichkeit einer gründlichen Forschung erheblich ein. Immerhin
wird es als wahrscheinlich bezeichnet, daß durch diesen Fund ein bislang
wenig bekanntes Kapitel der Kasseler Stadtentwicklung aufgehellt werden kann.
Die
Fundstelle selbst ist der Hof der früheren Artilleriekaserne. Davor soll
in der Nähe des Fundortes ein alter Friedhof gewesen sein, und zwar ein
Judenfriedhof. Und in noch früheren Zeiten befand sich auf dem heutigen
Wall, unweit des als Gefängnis so berüchtigten Kastenals, die
Kasseler Richtstätte. Mit der Kaserne soll ein Lazarett verbunden gewesen
sein und wahrscheinlich dürfte sich auch ein Friedhof in der Nähe
befunden haben. Alle diese Zusammenhänge der Fundstelle mit der
stadtgeschichtlichen Vergangenheit müssen bei der weiteren
Untersuchung berücksichtigt werden.
Die Vermutungen von 1936 sind leicht zu
entkräften: Der alte jüdische Friedhof befand sich etwa an der Stelle
des heutigen Königsplatzes und fiel um 1630 offenbar dem Neubau eines
Ravelins vor dem Neuen Tor zum Opfer, die alte Richtstätte des Amtes Ahna
lag an der heutigen Mönchebergstraße unweit des Klinikums, und gegen
einen Zusammenhang mit dem Garnisonlazarett sprechen die jüngsten Datierungen
der Skelette (vgl. auch den Beitrag vom 28. Jan. 2008).
(Vgl.
zum jüd. Friedhof Horwitz,
Ludwig: Der
israelitische Friedhof zu Kassel, in: Hessenland 32 (1918), S. 135-137; vgl.
zur Richtstätte auf dem Möncheberg, an Jussow- bis Koboldstr. bzw.
zwischen Ihringshäuser Str. und etwa Cauerstr. die Katasterkarten Kassels
von 1686, Staatsarchiv Marburg, P II 938, Reproduktionen im Stadtarchiv
Kassel.)
Die Beschreibung der Fundumstände
deutet darauf hin, daß die Skelette beim Bau der neuen Werkshalle von
Henschel gefunden wurden, welche von der Ahna bis an die Bernhardistraße
reichte (vgl. oben den Stadtplan von 1943) und unter deren Fundamenten 2008
noch Knochen gefunden wurden. Der Hinweis der Zeitungsartikel, daß die
Toten 1936 auf dem früheren Gelände der Artilleriekaserne gefunden
wurden, beschränkt die Lokalisierung eindeutig auf das von Henschel damals
neu erworbene Gelände; und die Erwähnung, daß es sich um
aufgeschüttetes Gelände handelte, verweist auf den ehem. Reitplatz
nahe der Ahna. Da die Zahl von ca. 50 Skeletten 1936 beinahe den über 70
Jahre später aufgedeckten weiteren 60 Skeletten entspricht, legt dies auch
eine annähernd gleiche Fläche nahe – bei einer Gesamtzahl der
Toten von ca. 110. Auffallend ist auch bei den Skelettfunden von 1936 das
vollständige Fehlen jeglicher Beifunde.
Bemerkenswert ist die Aussage von 1936,
daß die Skelette im damals aufgedeckten nördlichen bzw. nordwestlichen
Teil des Notfriedhofs „ungeordnet“ gelegen haben sollen: Sie
ergänzt die jüngsten Beobachtungen, daß die Beisetzung im
südlichen Bereich zunächst noch geordnet und planvoll erfolgte und
nach Norden hin allmählich systemloser wurde – der Anfang der
Beisetzungen ist im Süden anzunehmen, und mit zunehmender Dauer der Seuche
(und zunehmender Sterblichkeit?) legte man immer weniger Wert auf eine
geordnete Lage der Toten, zugunsten einer schnellen Bestattung. Die genaue Lage
und Ausdehnung des 1936 aufgedeckten Friedhofsteiles bleibt allerdings noch zu
klären.
Die jüngst aufgedeckte Fläche des
Notfriedhofs (die sich anscheinend nach Norden noch fortgesetzt hatte, wie auch
die Knochenfunde in den Fundamenten der Henschelhalle zeigen) findet im
übrigen eine auffallend exakte Entsprechung im Stadtplan von 1822 (vgl. oben):
dort ist der Südteil des Hofes als Wiese bzw. Grasfläche schraffiert,
während der Nordteil als Sand- (oder Pflaster-)fläche
wiedergegeben ist; der Notfriedhof umfaßte in seiner Ausdehnung nun
genau die nördliche Sandfläche, während im Südteil
keine Beisetzungen nachweisbar sind (vgl. oben die Skizzen). Dagegen
ist in den älteren Plänen bis 1811 noch im ganzen Hof eine durchgehende
Sandfläche eingetragen: Stadtplan von 1803, Aquarell F. W. Seligs um 1810
(Online-Kataloge der
Museumslandschaft Hessen Kassel, Bestandskatalog der Architekturzeichnungen,
1.34.1.2) und Stadtplan von 1811 (ebd., 1.1.1.2; die
1811 begonnene Stadtkaserne ist schon eingetragen, aber die Gebäude
Frankfurter Straße 33, Bellevue 4-6 und Georgenstraße 6 sind noch
nicht zum Bellevueschloß zusammengefaßt). – Dieser
Zusammenhang zwischen der nach ca. 1811 verkleinerten Sandfläche und der
genau auf diese Restfläche begrenzten Ausdehnung des Notfriedhofs macht
eine Beisetzung vor (frühestens) 1811 sehr unwahrscheinlich und
stützt zusätzlich die Datierung der Beisetzungen in die
Typhusepidemie 1813/14.
Der Zugang auf die Fläche erfolgte
durch mehrere Tore des langgestreckten Schuppens, der außen an die
Zollmauer angebaut war und Armeefuhrwerke aufnahm (vgl. ebd., 1.46.1.3,
Grundriß des späteren Zustands 1849, nach den Erweiterungen und
Umbauten; in jeder zweiten Nische der Zollmauer ist ein Tor eingetragen).
11. Juli 2009:
Zur Veranschaulichung die beiden
Stadtpläne von 1822 und 1943 im Vergleich:
Im Plan von 1822 (nicht ganz winkeltreu)
ist hier die Sandfläche zur Verdeutlichung türkis markiert, die mutmaßliche
Bestattungsfläche dabei dunkler hervorgehoben. Im Plan von 1943 ist die
Bestattungsfläche in gleicher Farbe markiert (vgl.
Überlagerungsplan oben, zum 23. Jan. 2008). Als Anhaltspunkt im Plan von
1822 kann ein Nachbargebäude am linken Bildrand dienen (violett markiert).
Etwas weniger als die Hälfte der
Fläche ist im Plan von 1943 durch die Henschelsche Werkhalle
überbaut, was ungefähr dem Verhältnis von 50 (1936) zu 60 (2008)
Skeletten entspricht, wenn man die regellosere und damit zugleich
platzsparendere Beisetzung im nördlichen Teil der Fläche
berücksichtigt.
Wenn der Plan von 1822 die Ausdehnung der
Sandfläche gegenüber der südlich angrenzenden, schraffierten
Grasfläche richtig wiedergibt, bleibt im Süden eine schmale
ungenutzte Fläche übrig; der Plan von 1822 bietet zwar keine ganz
genaue Darstellung, doch entspricht die Breite und Lage dieser schmalen
ungenutzten Fläche auffallend exakt zwei Achsen des straßenseitigen
Schuppens, die vermutlich als Zufahrt für die Leichentransporte
und zum Wenden der Wagen erforderlich waren.