Das Grabmal für

Landgraf Philipp den Großmütigen und Christina von Sachsen

in der Kasseler Martinskirche

und seine Restaurierung im Jahre 2004

 

1934Inneres

Die Martinskirche 1934

( Bildarchiv Foto Marburg )

 

 

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Das Epitaph wurde nach dem Tode Landgraf Philipps (1567) von der Kasseler Hofbildhauerwerkstatt über der Fürstengruft errichtet. Begonnen wurde es unter der Leitung von Meister Elias Godefroy aus Kamerich (Cambrai), der schon seit den 1550er Jahren am Kasseler Hof tätig war. Nach seinem Tod 1568 wurde das Werk von seinem Schüler und Nachfolger Adam Liquir Beaumont nach veränderten Plänen vollendet. Den Hauptteil bildet ein römischer Triumphbogen aus schwarzem Marmor mit Bildwerken aus weißem Alabaster, wobei der auferstandene Christus die Stelle des antiken Triumphators einnimmt. Seitlich davon befinden sich die Statuen des Landgrafenpaares. Darüber in der Mitte die 4 Kardinaltugenden (über dem Nischenbogen und auf dem Giebel), sowie Reliefs mit biblischen Szenen (Simson sowie Szenen aus dem Buch Daniel über dem Landgrafen und Szenen aus dem Buch Judith über der Landgräfin).

Das Philipps-Epitaph kann als das bedeutendste Grabmal seiner Zeit in Mitteleuropa angesehen werden; es ist von Vorbildern niederländischer Künstler beeinflußt, übertrifft diese allerdings in der Größe (fast genau 12m Höhe), im Reichtum der bildlichen Darstellungen und in der Komplexität des Bildprogramms bei weitem. Es wurde zum Vorbild für zahlreiche andere Grabmäler, welche die Qualität und Bedeutung des Kasseler Werkes zumeist aber nicht erreichten. Die Planänderung durch Beaumont ist zudem ein seltenes Zeugnis für den Übergang von der Renaissance in einen frühen Barock.

 

Nach durchgreifenden Veränderungen der Farbfassung um 1843/44 wurde das Grabmal zuletzt 1931/32 restauriert, wobei die veränderte Farbfassung allerdings beibehalten wurde.

 

 

Gesamt1932

 

Das Grabmal 1932

( Bildarchiv Foto Marburg )

 

Während des Zweiten Weltkriegs wurde es zum Schutz vor Beschädigungen eingemauert, jedoch fehlte bei der Zerstörung der Kirche am 22. Oktober 1943 noch die obere Abdeckung. Die Bekrönung und die vorspringenden Gesimse wurden dabei teilweise beschädigt. Als bei ersten Wieder­herstellungsarbeiten in der Kirche um 1950 Öffnungen in die Schutzmauer gebrochen worden waren, um den Zustand des Grabmals zu überprüfen, erlitt das Kunstwerk weitere Beschädigungen durch Metall­diebe und Kunst­räuber.

 

Historische Photographien zur Geschichte des Grabmals

 

Im Vorfeld der Festlichkeiten zum 500. Geburtstag Landgraf Philipps des Großmütigen konnte 2004 eine Restaurierung in Angriff genommen werden. Die Kosten von über 300.000€ wurden von der Ev. Landes­kirche Kurhessen-Waldeck, dem Land Hessen und der Kirchengemeinde (mittels Spenden) getragen. Das Ziel der Arbeiten war, die hohe künstlerische Qualität und die Verständlichkeit der Inhalte so weit wie möglich wiederzugewinnen; beides war durch eine Verschmutzung und Vergilbung der Wachs­überzüge und das Fehlen zahlreicher wichtiger Details erheblich beeinträchtigt. Als Grundlage der Arbeiten dienten zahlreiche Photographien aus der Vorkriegszeit, zumal bei der Restaurierung der Kirche im Jahre 1931 selbst unzugängliche Details gut dokumentiert worden waren. 

Allerdings konnte angesichts des gleichwohl engen Zeit- und Finanzrahmens leider nur ein Teil der erforderlichen Maßnahmen durchgeführt werden. Insbesondere auf die Reinigung der Bildwerke aus Alabaster, die Ergänzung des landgräflichen Gesamtwappens (Helmzier), zahlreiche weitere Ergän­zungen und vor allem die Untersuchung und Restaurierung des ursprünglichen Farbkonzepts mußte verzichtet werden.

Nicht mehr wiedergutzumachen sind die Folgen der Versetzung für die Wirkung des Grabmals; dies betrifft nicht nur die inhaltliche Bedeutung, sondern auch ganz einfache Äußerlichkeiten: Ursprünglich fiel durch die großen Chorfenster helles Tageslicht auf das Grabmal, und der Wechsel von Licht und Schatten betonte seine Plastizität – nun steht es in der dunkelsten Ecke der Kirche, und die Feinheiten sind meist nicht erkennbar. Außerdem war es in die farbig gefaßte Architektur des Kirchen­raumes ein­gebunden – nun erscheint es angesichts der geringeren Höhe der Seitenschiffe und des weißen An­strichs des Kirchenraums als großer, dunkler Fremdkörper. Zwar konnte die Reinigung des schwar­zen Mar­mors die Plastizität des Architekturgerüstes wieder etwas deutlicher hervorheben, doch sind die Details der Reliefs und Figuren weiterhin nur schwer zu erkennen; dauerhaft abhelfen könnten nur eine Ent­fernung der verschmutzten und vergilbten Wachsüberzüge sowie eine gezielte künstliche Beleuch­tung.

 

 

AufrißB

 

Das Grabmal im ursprünglichen Zustand

(Rekonstruktion)

 

 

2003PhilippsgrabmalA

 

Das Grabmal 2003;

zahlreiche Einzelteile fehlen, der Marmor ist mit einer schwarz eingefärbten Wachsschicht überzogen.

 

 

SchadstellenB

 

Schadensaufnahme der Veränderungen und Verluste, vor der Restaurierung:

Rot = Fehlstellen, Gelb = fehlerhafte Veränderung, Türkis = veränderte Position

 

 

Die Restaurierungsarbeiten begannen am 13. April 2004, nachdem zuvor bereits das Gerüst aufgestellt worden war. Beendet wurden sie am 11. September 2004.

Im Zuge der Restaurierung wurden mühsam die Überzüge auf dem schwarzen Marmor entfernt, der Stein wieder aufpoliert (das Verfahren nach historischem Vorbild war zuvor schon im Marmorbad des Kasseler Orangerieschlosses angewendet worden). Ergänzungen der Nachkriegszeit wurden farblich sorgfältig eingepaßt, weitere Fehlstellen im Marmor geschlossen. Lediglich im Bereich der bekrönenden Wappen­kartusche, die ursprünglich offenbar farbig gefaßt war, wurden die Überzüge vorerst belassen.

Die reichen Reliefs und Statuen aus weißem Alabaster konnten wegen des engen Zeit- und Finanz­rahmens bedauerlicherweise nur teilweise restauriert und rekonstruiert werden: Ein Abnehmen der vergilbten und verschmutzen Wachsschicht hätte angesichts erheblicher Ausbesserungen in Gips, welche 1956 vorgenommen worden waren, umfassende Sicherungen und farbliche Retuschen zur Folge gehabt, ebenso wäre das ursprüngliche Konzept der Farbfassungen und Vergoldungen zu untersuchen gewesen. Beides war in diesem Zusammenhang leider nicht zu leisten. Statt dessen konnte nur eine behutsame Reinigung der Wachsschicht vorgenommen werden.

Auch die Rekonstruktion zahlreicher fehlender Einzelteile mußte auf die wichtigsten Teile beschränkt werden; die Auswahl erfolgte dabei nach künstlerischen und ikonographischen Gesichtspunkten: Im unteren Geschoß waren dies die drei bedeutenden Reliefs in der Mittelnische sowie die Attribute des Landgrafen, in der Bekrönung die beiden Fackelstangen der Löwen, welche für das Gesamtbild von großer Wichtigkeit sind, sowie die Attribute der Iustitia. Einzelne Veränderungen an der Rückwand stellen die ursprünglichen Proportionen wenigstens teilweise wieder her. Auf eine Korrektur der falsch angebrachten Wappen am Ziersarkophag mußte wegen des damit verbundenen Aufwands und der Gefahr weiterer Beschädigungen verzichtet werden.

Die Rückwand wurde in Anlehnung an den dokumentierten Vorkriegszustand dunkel gefaßt; es ist jedoch anzunehmen, daß ursprünglich Wappenkartusche (Befunde) und Rückwand ockerfarben gestrichen waren. Zumindest das landgräfliche Wappen und die beiden Werkinschriften waren farblich gefaßt, vielleicht auch weitere Alabasterstücke der Bekrönung. Der schwarze Stein der beiden Voluten hinter Iustitia und Fortitudo stellte sich bei der Restaurierung zudem als weißer Marmor heraus, der um 1843/44 lediglich schwarz angestrichen worden war, und gleiches gilt auch für den Bogen an der Stirnseite der Hauptnische. Die Reliefs und Statuen waren teilweise ebenfalls farbig gefaßt: Zumindest die Pupillen, welche nur in der unteren Ebene plastisch herausgearbeitet sind, und vermutlich einige Details waren sparsam bemalt.

 

Zum ursprünglichen Zustand vgl. in der ZHG 123 (2013), Abb. 3 auf S. 38 (graphische Rekonstruktion).

 

Die inhaltliche Differenzierung zwischen Triumphbogen und Bekrönung fand damit in Material und Farbfassung ihre Entsprechung: Auf der einen Seite die weltliche Ebene mit landgräflichem Wappen, Werkinschriften und dem beherrschenden Tod, mit ihrer groben Rückwand und der farbigen Behandlung in die Architektur des Kirchenraums eingebunden. Auf der anderen Seite davon abgesetzt die sakrale Ebene mit den biblischen Szenen und dem auferstandenen Christus als Triumphator, der den Tod überwunden hat, mit polierten Oberflächen und dem klaren Schwarz-Weiß-Kontrast der reinen, kostbaren Materialien. Zugleich bildete der Unterbau mit den seitlichen Obelisken eine lebhafte Gegenbewegung zur Rückwand.

Eine Wiederherstellung des ursprünglichen Farbkonzeptes, welches eine gänzlich andere Wirkung erzielte, ist zwar weiterhin wünschenswert; sie hätte allerdings im oberen Bereich erheblich umfassen­dere Befund­unter­suchungen vorausgesetzt, als im Rahmen der Restaurierung möglich war. Aus diesem Grund blieb die Bekrönung weit­gehend unangetastet.

Als bislang letzte Maßnahme konnte im Sommer 2006 die inzwischen wiederaufgefundene Urne aus Alabaster restauriert und wieder auf der Rückwand angebracht werden. 

 

 

MaßnahmenB

 

Die 2004 und 2006 durchgeführten Ergänzungen und Veränderungen:

Rot = Fehlstellen, Gelb = fehlerhafte Veränderung, Türkis = veränderte Position,

Grün = vorgenommene Ergänzung, Lila = korrigierte Position

 

 

Die Restaurierung wurde durch die Firma Steinmetz Krieger KG in Kassel durchgeführt; die Bildhauer­arbeiten besorgten Roman Krasnitsky (Immenhausen; v. a. untere Ebene und Arm der Iustitia) sowie Martin Schmalenberger (Bad Sooden-Allendorf; Fackelstangen der Löwen).

Restaurierung und Anbringung der Alabasterurne besorgte kurzfristig die Firma Friedrich Gerloff Naturstein GmbH (Kassel).

Die steinrestauratorischen Maßnahmen wurden von Stephan Scheidemann (Friedrichroda) begleitet, als Farbrestaurator war Manfred Lausmann (Schwalmstadt) tätig (Retuschen und Vergoldungen der neuen Ergänzungen, Retuschen der freigelegten historischen Ergänzungen am Architekturgerüst, Aus­führung der Schrift an den beiden Schrifttafeln nach Vorgabe, Anstrich der Rückwand).

Die Metallarbeiten wurden von Wallrath Metallwerkstätten (Freital; Schwerter Philipps und der Iustitia, sowie ihre Waage) und Bildguß Gebr. Ihle (Rabenau; Bronzestangen und Schrifttafeln der Löwen) über­nommen.

 

 

Die vorgenommenen Ergänzungen – Photographien und Ausführungszeichnungen:

Die Bekrönung des Grabmals einschließlich der Figur der Iustitia

Die Statue Landgraf Philipps

Die Reliefs in der Mittelnische

Weitere historische Photographien, die während der Restaurierung der Kirche 1931/32 aufgenommen worden sind, befinden sich u. a. bei  Bildarchiv Foto Marburg , unter: Orte / Kassel / Sakralbau / K-M.

 

 

Für die Rekonstruktion der fehlenden Teile wurde zunächst ein genaues Aufmaß des gesamten Grabmals erstellt und das ursprüngliche Baumaß bestimmt (1´ = 12´´ = 144´´´ = 31,3cm; Rheinischer Fuß). Dieses Aufmaß liegt den oben abgebildeten Rekonstruktion­szeichnungen mit Schadens- und Maßnahmen­kartierung zugrunde (im Bereich der Rückwand ergänzt durch ein 1931 erstelltes Teilaufmaß). Die Ermittlung der Größenverhältnisse der fehlenden Teile erfolgte gemäß den historischen Photo­graphien, auf deren Grundlage eine Umrechnung in die Originalmaße vorgenommen wurde. Sämtliche Aus­führungs­­­zeichnungen sind daher zunächst in Fuß, Zoll und Linien vermaßt, diese Maße dann in das metrische System umgerechnet.

 

Das gleiche Verfahren wurde teilweise auch bei den figürlichen Bildwerken angewendet, in der Regel aber in direkter und enger Absprache mit dem Bildhauer, so daß auf Zeichnungen verzichtet werden konnte (z. B. konnte die Gesamthöhe der Christusfigur im mittleren Auferstehungsrelief mit 27´´ = 70,4cm errechnet und damit die Größe des linken Fußes exakt bestimmt werden). 

 

 

RIMG2035

 

Das Grabmal bei Abschluß der Restaurierungsarbeiten, 2004;

noch sind die probeweise gereinigten Säulenbasen nicht wieder retuschiert,

so daß die natürliche Farbe des Alabasters erkennbar ist.

 

 

RIMG2035c

 

Möglicher Endzustand nach Ergänzung der noch fehlenden Teile,

Reinigung des Alabasters und Rekonstruktion der Farbfassung

 

 

Mit farbiger Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands im Chor vgl. zum Grabmal:

Presche, Christian: Landgraf Wilhelm IV. und seine Residenzstadt Kassel, in: ZHG 123 (2018), S. 31–52, hier: S. 34–40 mit Abb. 2–3.

 

 

Abbildungsnachweis und Literatur:

von Drach, Alhard / Gustav Könnecke: Die Bildnisse Philipps des Großmütigen. Festschrift zur Feier seines 400. Geburtstags (13. November 1904), hg. von der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, Marburg 1905.

Frede, Michael / Volker Knöppel: Die Restaurierung des Philipps-Epitaphs in der Kasseler Martins­kirche. Ein Beitrag zum Philipps-Jubiläum 1504-2004, in: Jahrbuch des Landkreises Kassel 2005, S. 7-12.

Hallo, Rudolf: Die Meister vom Casseler Philippsepitaph, in: Hessen-Kunst 20 (1926), S. 47-57.

Holtmeyer, Alois: Alt-Cassel (Alt-Hessen, 2. Heft), Marburg 1913.

Ders.: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Bd. VI, Kreis Cassel-Stadt, 5 Bde., Marburg 1923.

Kramm, Walter: Die beiden ersten Kasseler Hofbildhauerwerkstätten im 16. und 17. Jahrhundert, Sonderdruck aus dem Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft VIII / IX.

Ders.: Kassel, Wilhelmshöhe, Wilhelmstal (Deutsche Lande, deutsche Kunst), München 1951.

Presche, Christian: Das Epitaph für Landgraf Philipp den Großmütigen und seine Frau Christina von Sachsen in der Kasseler Martinskirche. Dokumentation der vorgenommenen Ergänzungen im 1. Bau­abschnitt, April – September 2004, einschließlich der wichtigsten Befunde zum Grabmal (2 Bde. und CD). Frühere Restaurierungen und Veränderungen (1 Bd.), Kassel 2004 (Bauabteilung des ev. Landes­kirchen­amtes Kurhessen-Waldeck / Bauabteilung des Stadtkirchenkreises Kassel / Landesamt für Denkmal­pflege Hessen (Marburg)).

Ders.: Zwei fragwürdige Karyatiden, in: Landgraf Philipp der Großmütige 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform, Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, hg. von Ursula Braasch-Schwersmann, Hans Schneider und Wilhelm Ernst Winterhager in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission Hessen, Marburg / Neustadt an der Aisch 2004, S. 292.

Ders.: Die Martinskirche in Kassel, 3 Bde., Vorabfassung auf DVD, Kassel 2006 (Landeskirchliches Archiv Kassel / Pfarrarchiv der Freiheiter Gemeinde Kassel / Stadtarchiv Kassel / Stadtmuseum Kassel).

Ders.: Philippsepitaph, in: Kassel Lexikon, Bd. 2 (L-Z), hg. von der Stadt Kassel, Kassel 2009, S. 133f.

Zietz, Peer: Das Grabmal Philipps des Großmütigen in Kassel restauriert, in: Denkmalpflege und Kulturgeschichte 4 / 2005, S. 33-36.

 

 

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